Rezension

etwas zäh, aber interessant konstruiert

Dark Memories - Nichts ist je vergessen - Wendy Walker

Dark Memories - Nichts ist je vergessen
von Wendy Walker

Notwendigerweise wird, wer hier den vom Verlag angekündigten spannenden Thriller erwartet, enttäuscht. Vielmehr sollte man sich auf eine konsequent konstruierte Entwicklung einlassen.

In Fairview, einer Kleinstadt in Connecticut, wird die sechzehnjährige Jenny abseits einer Feier brutal vergewaltigt. Ihr Peiniger trägt eine Sturmhaube und achtet penibel darauf, weder Spuren noch Hinweise zurück zu lassen. Als die Eltern vor die Wahl gestellt werden, mit Hilfe eines Medikaments das traumatische Erlebnis aus dem Gedächtnis ihrer Tochter zu löschen, nehmen sie das Angebot an. Doch bald zeigt sich, dass nicht nur Jennys Panikgefühle weiter existieren, sondern ohne ihre Erinnerung überdies die Verarbeitung des Übergriffs unmöglich ist.

All das, was hier zum Inhalt gesagt wird, ist lediglich die Vorbereitung des Bodens auf Saat und spätere Früchte. Wendy Walkers Roman geht über die Ereignisse, die dem Mädchen anfangs zustoßen und eher von katasysatorischer Funktion sind, weit hinaus.

Ein besonderes Stilmittel liegt dabei in der Erzählperspektive. Berichtet wird nämlich in Ichform von einer Person, die zunächst sehr unbeteiligt wirkt und sich später als der Therapeut Alan Forrester zu erkennen gibt. Als Identifikationsfigur bietet er sich nicht an, dazu wirkt, was er zu sagen hat, zu sachlich, zu beschreibend. Alan wird konsultiert, um Jennys Erinnerung wiederzufinden, denn er arbeitet zeitgleich mit einem jungen Soldaten, der der gleichen Behandlung unterzogen wurde und ebenfalls im Nachhinein Probleme damit hat. Außerdem behandelt er auch ihre Mutter, Charlotte, und Tom, den Vater. Dadurch ist er in der Lage, sehr umfassend und tiefgreifend Zusammenhänge zu erkennen, die er nach eigenem Gutdünken an den Leser weiter leitet. Nach und nach gibt er auch Meinungen preis, Gedanken, und zeigt sich an einigen Stellen erschreckend selbstgefällig, geradezu arrogant.

Das alles lässt sich sehr ausführlich, detailverliebt, manchmal medizinisch an und zieht sich entsprechend.

Wörtliche Rede ist häufig in kursive Schrift gesetzt. Vielleicht rückt durch diesen Trick die jeweils zitierte Person näher an den Leser heran. Doch auch Verwirrung kann dadurch entstehen.

Die tritt ebenfalls in der Chronologie auf. Der Bericht ist voll von Rückblenden und zeitlichen Vorgriffen. Hier den exakten Überblick zu behalten, ist beinahe unmöglich.

Lange fühlt man sich im Unklaren darüber, worauf alles hinauslaufen wird. Und das ist das in besonderer Weise Kunstvolle an diesem Buch, dass es den Leser in die Irre zu leiten versteht und ihn überraschen kann. Nichtsdestotrotz ist etliches zu abstrus, zu unglaubhaft, auch zu willkürlich, um eine wirklich gute Geschichte daraus zu bauen.

Unverzeihlich allerdings ist das Etikett, das der Fischer-Verlag dem Roman aufgedrückt hat: Ganz sicher liegt hier kein Thriller vor, und die propagierte Spannung hält sich sehr in Grenzen. Schade, dass hier falsche Erwartungen geweckt werden und sich bei der Lektüre demzufolge leicht Enttäuschung einstellen kann.