Exakt sezierte Freundschaft
Bewertet mit 4 Sternen
Sara und Neil führen ein solides und glückliches Leben in einem englischen Vorort. Sie haben zwei Kinder, ein hübsches Haus, gesellige Nachbarn und gute Jobs. Dann ziehen Gavin und Lou ins Nachbarhaus, die so ganz anders sind als Saras übliche Bekannte. Er ein moderner Künstler mit Atelier im Keller, sie Filmemacherin und von einer lässigen Eleganz und Schönheit, die bei Sara eine Mischung aus Bewunderung und Neid auslöst. Die Kinder haben außergewöhnliche Namen, die Bekannten sind zum guten Teil Berühmtheiten und das Leben wird mit einer fast provokanten Lässigkeit genommen. Was bei einigen Nachbarn für Stirnrunzeln sorgt, scheint für Sara unheimlich erstrebenswert. Sie will unbedingt mit Lou befreundet sein, will Teil ihrer Welt werden, die ihr so viel aufregender und erstrebenswerter erscheint als das, was sie bisher hatte.
Auch wenn das Cover ein bisschen nach Thriller aussieht, in diesem Roman geht es ausschließlich um die Freundschaft der beiden Paare. Wie sie sich entwickelt und wie es hier und da zu kriseln beginnt. Und das hat Felicity Everett mit einer grandiosen Beobachtungsgabe hinbekommen. Wir erleben das Ganze aus Saras Sicht, die zwar sympathisch, aber oft sehr unsicher ist. So ist sie zwar manchmal etwas nervig in ihrem Willen unbedingt gefallen zu wollen, aber insgesamt ziemlich realistisch geschildert. Manchmal will man sie schütteln und sagen: „Sei doch einfach du selbst!“ aber andererseits kann man vollkommen verstehen, warum sie agiert, wie sie agiert. Ihre Unsicherheit, die Bewunderung gegenüber Gavin und Lou, die Eifersucht in Bezug auf die Freundschaft , der Wunsch nach ihrer Exklusivität, all das war durchweg glaubhaft. Und auch, als das Bild anfängt zu bröckeln: Als Sara hier und da sauer wird, als Lou etwas von ihrer Leuchtkraft einbüßt, ja das alles passte wunderbar zusammen. So fand ich den Roman unglaublich spannend zu lesen, auch wenn eigentlich gar nicht viel passiert.
Ich fand die Entwicklung der Charaktere toll, ich fand die Geschichte interessant und gut geschrieben, ich fand Saras Reflexion am Ende richtig. Nur an einer Stelle war ich ein wenig enttäuscht: Ab einem gewissen Punkt wartet man auf den großen Knall. Der kommt zwar theoretisch, wird aber nie wirklich beschrieben. Plötzlich haben wir nur noch Saras Rückblick darauf und die Geschichte ist vorbei. Das ging ein bisschen schnell und war meiner Meinung kein angemessener Schluss für diese so detailliert aufgebaute Beziehung.
"Das Paar aus Haus Nr 9" ist ein ehrlicher und treffender Roman über Freundschaft, Veränderung und die Sehnsucht nach mehr. Die eigentlich ganz einfache Geschichte besticht durch ihre realistische Umsetzung und durch ihre interessanten Charaktere. Der Reiz liegt hier nicht in einer ausgeklügelten Handlung, sondern im Beobachten und Wiedererkennen. Spannend!