Rezension

F - ein Buchstabe, viele Facetten

F - Daniel Kehlmann

F
von Daniel Kehlmann

Schon der Titel macht neugierig: Ein einziger Buchstabe, das F. Wofür könnte er stehen?

Zunächst denkt man an die Protagonisten: F wie Friedland heißt die Familie. Der Vater Arthur entzieht sich; er schreibt Bücher, deren Nichterscheinen ihn kaum berührt, und aus dem Leben seiner Söhne verschwindet er und taucht von Zeit zu Zeit unversehens wieder auf. Seine Zwillingssöhne Iwan und Eric hat er nach zwei Rittern der Tafelrunde benannt (Iwein und Erec). Iwan macht Karriere als Kunstkritiker und Nachlassverwalter eines Malers; tatsächlich hat er dessen Werke selbst gemalt und sorgt mit kluger Taktik für ihren Wert auf dem Kunstmarkt. Eric ist ein ebensolcher Künstler auf dem Finanzmarkt, und auch er spielt mit den Erwartungen seiner Kunden: Die Mittel neuer Anleger nutzt er für die Zahlung hoher Renditen, was ihm wieder neue Kunden zuführt. Doch inzwischen ist er hoch verschuldet; er weiß, dass diese Illusion bald platzen muss. Und dann ist da noch der ältere Halbbruder Martin - ein katholischer Geistlicher ohne Glauben, der seiner Gemeinde das gibt, was sie sucht, selbst süchtig nach Rubiks Würfel und nach Essen.

Vielleicht steht das F auch nicht für eine oder mehrere Personen, sondern für ein Thema: Das könnte dann beispielsweise Fälschung sein, denn Schein oder Sein ist bei allen drei Brüdern wie auch beim Vater ein großes Thema. Oder es steht für Fiktion, denn auch der Unterschied zwischen Realität und Phantasie ist hier oft nicht eindeutig fassbar. Das gilt nicht nur für die Täuschungen, die alle Männer hier inszenieren, es gilt auch für die Bücher des Vaters, die später zum Erfolg werden und die Leser berühren; "Mein Name sei Niemand" führt zu mehreren Selbstmorden. Die Söhne haben alle drei die Vorstellung, verfolgt oder dem Teufel begegnet zu sein, vor allem Eric hat einen ausgeprägten Verfolgungswahn, dem er mit Psychopharmaka beikommen möchte.

Ein weiteres Kernthema trägt das Buch: Der freie Wille. Der erste Teil beschreibt einen Besuch Arthurs mit allen drei Söhnen in der Vorstellung eines Hypnotiseurs. Iwan, auf die Bühne geholt, erlebt, wie er alle Anweisungen widerstandslos umsetzt, obwohl er zutiefst überzeugt davon ist, dass er seinen freien Willen nicht aufgegeben hat. Martin diskutiert als Erwachsener, wie es sein könne, dass der Mensch frei in seinen Entscheidungen und damit verantwortlich für seine Handlungen sei, wenn andererseits ein allmächtiger und allwissender Gott immer schon vorab das Ergebnis kenne. Kann der Mensch überhaupt seine Handlungen bestimmen und sein Leben gestalten, oder ist alles schon vorbestimmt? "Fatum ... Das große F. Aber der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war." Das sagt Arthur in einer der letzten Szenen, und wir können wohl davon ausgehen, dass er hier für Kehlmann über das große F auf dessen Buchtitel spricht.

Vieles bliebe noch zu erwähnen, doch dem Leser sollen ja noch Entdeckungen möglich bleiben. Das Buch beschreibt weitere vielschichtige Personen, es enthält mehrere Kernszenen, aus denen sich der Handlungsstrang auch ganz anders hätte entwickeln können; viele Anspielungen an Realität und Kunst sind zu entdecken. Die Lektüre lohnt sich - und sogar eine zweite.