Rezension

facettenreicher Roman

Swing Time - Zadie Smith

Swing Time
von Zadie Smith

Bewertet mit 5 Sternen

Seit der Lektüre von „White Teeth“ bin ich ein großer Fan von Zadie Smith. 
Ihr neuester Roman ist ein literarischer Leckerbissen, aber keine leichte Kost. 
„Swing Time“ ist ein unglaublich vielschichtiges Werk, das auch handwerklich eindeutig „richtige“ Literatur ist. Smith konfrontiert den Leser mit einer nicht-linearen Erzählweise, die durch Zeitsprünge und Wechsel gekennzeichnet ist. 
Im Zentrum der Erzählung steht zunächst einmal eine Kinderfreundschaft – zwei Mädchen stammen aus dem gleichen Londoner Milieu. Sie haben beide das, was man neuerdings einen „Migrationshintergrund“ nennt und afrikanische Wurzeln. Die namenlose Erzählerin wird als äußerst phlegmatische und antriebslose Person geschildert, ihre beste Freundin Tracy als ehrgeizige  und auch etwas manipulative Figur. Beide interessieren sich für Tanz. Tracy schafft es aus dem tristen Londoner Viertel ins Westend und scheint den Sprung zur großen Tänzerin zunächst geschafft zu haben. Die Erzählerin wird die Assistentin des Popstars Aimee und opfert sich auf. Warum wird sie eigentlich stets dominiert? Von der Mutter, von Aimee, von allen? Hat sie gar keinen eigenen Willen? Die Lebenswege der ehemaligen Freundinnen trennen sich zunächst. Besonders gut gefiel mir, dass Smith die Frage nach der sozialen Aufwärtsmobilität stellt, denn Klasse ist auch im 21. Jahrhundert noch immer eine Kategorie, die ein Hemmnis sein kann (aber nicht muß!). Kann man sich überhaupt neu erfinden, muss man sich neu erfinden? Und wenn ausländische Wurzeln hinzukommen: Wieviel Kraft kostet ein sozialer Aufstieg? Sehr gut gefiel mir auch Smith‘ Analyse der inneren Zerrissenheit der Protagonistinnen. 
Ein Gefühl, das wohl die meisten Menschen mit Migrationshintergrund kennen. Als die Erzählerin nach Afrika (Gambia) kommt, hofft sie, endlich unter „Ihresgleichen“ zu sein, muss aber feststellen, dass sie von den Afrikanerinnen als „Weiße“ identifiziert wird. Ethnische Zugehörigkeit: eine Frage des Blickwinkels? Smith gibt keine einfachen Antworten auf die Frage: was ist Heimat? Ganz besonders wichtig finde ich auch, dass die Protagonistinnen Frauen sind und als solche mit -leider- frauenspezifischen Problemen konfrontiert werden, die sie als Männer nicht hätten:  (Macht)Mißbrauch. Emotionale Erpressung. Bestimmte Rollenklischees, die es zu erfüllen gilt: Was darf frau? Und sind Frauen qua Geschlecht für den sozialen Abstieg prädestiniert? Durch ihre Figurenzeichnung und die nuancenreiche Erzählung entwirft Smith jedoch eine Geschichte  mit vielen Graustufen; obwohl es keine Schwarz-Weiß- Dichotomie gibt, negiert sie aber auch nicht die Hürden, die durch die Kategorien Klasse/Rasse/ Geschlecht entstehen. 
Aber an ihrer Figurenzeichnung sieht man auch, dass manche Hürden auch einfach eine Charakterfrage sein könnten. Mich hat „Swing Time“ sehr ins Grübeln gebracht, aber ich finde es unheimlich wichtig, dass es sozialkritische Romane gibt, auch wenn die Lektüre nicht immer glücklich macht. „Swing Time“ ist eine äußerst facettenreiche Erzählung, die sich auch der Analyse von hybriden Identitäten widmet. Interkulturalität ist bei Smith trotz aller Licht-und Schattenseiten ein Fakt. Sie schafft es jedoch, alle etwaigen Klischeeklippen zu umschiffen und nie in folkloristischen Migrantenkitsch zu verfallen, weil ihr Roman auf mehreren Pfeilern steht und die Identität des modernen Menschen einerseits spezifisch und andererseits allgemein abbildet. 
Viele Themen des 21. Jahrhunderts werden tangiert: Entfremdung, Beziehungslosigkeit, Phlegma und Depression und die als absolut gesetzte Maxime etwas aus sich machen zu müssen, weil es theoretisch machbar ist. Dabei bleibt das Glück oft auf der Strecke und Träume zerplatzen wie Seifenblasen, aber so ist das moderne Leben.
„Swing Time“ ist ein absolut lesenswerter Roman. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 16. Dezember 2016 um 09:30

"phlegmatische und antriebslose Erzählerin"? Diese arbeitet 16 Stunden am Tag.