Rezension

Fängt stark an, verschenkt dann aber sein Potential

Die Sehnsucht des Vorlesers
von Jean-Paul Didierlaurent

Bewertet mit 3.5 Sternen

Inhalt aus dem Klappentext:

Guylain Vignolles liebt Bücher und hasst seinen Job in einer Papierverwertungsfabrik. Darum liest er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit im Regionalzug um 6 Uhr 27 laut ein paar Seiten vor, die er am Tag zuvor der Schreddermaschine entrissen hat: sein ganz persönlicher Akt der Rebellion gegen die Vernichtung von Literatur.

Eines Tages entdeckt er im Zug einen USB-Stick, auf dem das Tagebuch einer jungen Frau gespeichert ist. Tief bewegt liest er nun ihre Geschichten vor - und der Zauber springt auch auf die Mitreisenden über. Viel wichtiger aber noch: Die Geschichten verändern Guylains Leben von Grund auf. Er muss diese Frau finden!

 

Meinung:

Guylain Vignolles ist ein Außenseiter, der in seinem Leben nicht viel Freude hat, außer seiner Liebe zum geschriebenen Wort. Seine Arbeit ist ihm eher eine lästige Pflicht und nur ungern führt er diese aus. Zuhause erwartet ihn nur ein Goldfisch und seine Freunde kann er an einer Hand abzählen. Jeden Morgen liest er im Zug verschiedenste Auszüge aus Büchern vor, die in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen. Das Vorlesen scheint der Höhepunkt seines Tages zu sein, bis er eines Tages im Zug einen USB-Stick findet und er sich auf die Suche nach der Besitzerin macht.

Ich mag Guylain sehr gerne. Zwar ist er irgendwie ein Sonderling, aber seine Liebe zu Büchern und Texten klingen auf jeder Seite durch. Allerdings hätte ich mir gerne mehr Tiefe für seine Figur gewünscht und mehr Details zu seiner Vergangenheit. Diese ist mir persönlich nicht ausreichend genug skizziert worden. Aber die vielen skurrilen Nebenfiguren sind wundervoll beschrieben und runden dieses amüsante Buch etwas ab.

Erzählt wird die Geschichte aus der dritten Person, der Blickwinkel bleibt dabei auf Guylain gerichtet. Zwischendrin gibt es immer wieder Abschnitte mit Auszügen aus dem, was Guylain vorliest. Diese sind grafisch toll gestaltet und lassen das Gefühl aufkommen, selber die Zettel und Blätter in der Hand zu halten. Die Kapitel sind kurz gehalten und ruck zuck ist man durch das knapp 250 Seiten lange Buch auch schon durch.

Französische Literatur hat einen ganz besonderen Stellenwert bei mir. Einige Leser können damit nichts anfangen, aber ich mag den Sprachstil, dieses Verspielte und leicht Poetische, oft mit Humor Durchsetzte unheimlich gern. All dies ist natürlich auch in diesem Roman zu finden und der Lesespaß kommt nicht zu kurz. Leider hinterlässt das Ende der Geschichte einen schalen Geschmack bei mir, denn der Autor lässt einfach sehr viel offen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass viel Potential aus der Geschichte einfach nicht genutzt wird und Didierlaurent den Roman noch viel umfangreicher hätte gestalten können, ohne das es den Lesefluss geschadet hätte. Fast entsteht der Eindruck, der Autor hätte zum Ende hin keine Lust mehr gehabt, alle Vorlagen, die er sich gesetzt hat, zu nutzen.

 

Fazit:

Stark fängt "Die Sehnsucht des Vorlesers" an und unterhält unheimlich gut. Seine skurrilen Figuren und die Liebe zu den Büchern schwingen auf jeder Seite durch. Leider ist das Ende zu abrupt und hinterlässt das Gefühl, dass einiges fehlt.

Deshalb gibt es von mir nur 3,5 von 5 Punkten.