Rezension

Falsche Ideale am Weg zum Erwachsenwerden

Fliegende Hunde - Wlada Kolosowa

Fliegende Hunde
von Wlada Kolosowa

Bewertet mit 4 Sternen

~~Oksana und Lena sind Freundinnen seit sie denken können. Gemeinsam wachsen die Mädchen in einem heruntergekommen (fiktiven) Vorort von  Petersburg auf. Es vergeht kaum ein Tag an dem sich die beiden 16-jährigen nicht sehen, sie  sind einander vertraut bis zur Intimität
Beide hadern mit ihrem Körper. Lena, bleich, flach und hager wird als Bandwurm oder Rechen ausgelacht, Oksana leidet unter ihrem „dicken Hintern“. Doch plötzlich wird Lena von einer Modelagentur gecastet, ihre vermeintlichen Mankos sind in China nachgefragt. Während Lena daher in Shanghai versucht eine Modelkarriere zu starten, lässt sich Oksana auf ein dubioses Internetforum ein, das die „Leningrad-Besatzungs-Diät“  propagiert.
Die Welten der beiden Mädchen driften auseinander. Lena, tausende Kilometer weit weg von zuhause, muss damit fertigwerden, dass billige Pyjamas und Aknecreme nicht zum erhofften Erfolg führen. Sie muss entscheiden, wie weit sie bereit ist ihren Körper für ihr Fortkommen zu verkaufen.
Oksana hingegen scheint mir die stärkere von den beiden zu sein. Zwar vermisst sie Lena mehr als umgekehrt, auch empfindet sie die körperliche Sehnsucht nach der Freundin als etwas Echtes und nicht nur als Experiment.  Aber zunächst initiiert durch die absurde Blockadediät beginnt sich Oksana nicht nur mit ihrem Körper auseinanderzusetzen , sondern auch mit der Vergangenheit Leningrads. Sie schließt eine besondere Freundschaft mit der dementen Großmutter Lenas, die ihr als Zeitzeugin zur Verfügung steht. Dadurch gestärkt kann sie auch den nahezu kriminellen Betreibern des Magersuchtforums vehement entgegentreten.
Fliegende Hunde erzählt vom Erwachsenwerden , von Freundschaft und Liebe, die nicht gelebt werden kann oder will. Sehr ernste Themen werden berührt:  Körpergefühl, Magersucht, Sexualität, Homophobie und Selbstbestimmung. Bei aller Ernsthaftigkeit und Tragik findet die Autorin mit einer leichtfüßigen, manchmal fast heiteren Sprache einen Weg den tristen Alltag sowohl in der russischen Heimat als auch in der herabwürdigenden Modelwelt für den Leser aushaltbar zu machen. Wlada Kolosowa zeichnet ihre Protagonistinnen sehr authentisch und voller Zuneigung. Aber auch Nebenfiguren wie die demente Baba Polja oder Oksanas skurrilen Freund Mammut sind nicht nur Staffage, sondern liebenswerte Charaktere.
Wlada Kolosowas Debütroman hat mich überrascht und erwischt, ein kluges Buch über falsche Ideale, lesenswert.