Rezension

Familie und Meer

Eine Insel zwischen Himmel und Meer - Lauren Wolk

Eine Insel zwischen Himmel und Meer
von Lauren Wolk

Bewertet mit 4.5 Sternen

Am Strand einer kleinen Insel der Elizabeth Islands vor Cape Cod wird ein Boot angespült. Der einzige Passagier ist ein kleines Baby mit einer Feder als Muttermal auf der Wange. Osh, der auf der Insel lebende Mann, nimmt das Baby auf, gibt ihm den Namen Crow und zieht das Mädchen als seine Tochter groß. 
Mit inzwischen zwölf Jahren hat Crow von Osh alles gelernt, um sich selber ernähren auf und von der Insel zu können und sich im Leben zu behaupten. Doch sie weiß, dass Osh nicht ihr leiblicher Vater ist und so versucht sie zu erfahren, woher sie eigentlich kommt. 

Es könnte nur eine Geschichte sein, in der es um die Identitätssuche von Crow geht. Doch im Hintergrund steht noch so viel mehr, was auf vergleichsweise wenig Seiten untergebracht wurde. 
Unter den Inselbewohnern kam schon bei Crows Ankunft der Verdacht auf, sie würde von Penikese – einer weiteren Insel der Elizabeth Islands -  stammen und behandelten Crow wie eine Aussätzige. Denn auf Penikese wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eine Leprastation errichtet. Ganz wunderbar hat die Autorin diese unterschwellige Abneigung eingeflochten nd zeigt dem Leser, wie sehr die Abneigungen Einzelner zu einer gemeinsamen Abneigung anschwillt, so dass jeder Crow meidet. Und wie sehr kleinere Schmerzen zusammengenommen einen großen ergeben. So schwingt im Hintergrund immer eine gewisse Form der Gesellschaftskritik mit. 
Außerdem handelt die Geschichte von der (für mich) wichtigsten Sache im Leben: Familie. 
Denn eine Familie muss nicht immer aus den leiblichen Verwandten bestehen. Es ist wie auch Heimat ein Gefühl. Und dieses Gefühl spürte ich in jeder Zeile.   

Die Charaktere muss man einfach lieben. Sie wurden alle so wunderbar liebevoll von der Autorin gestalten und haben sich schon nach wenigen Seiten in mein Herz geschlichen.
Allen voran natürlich Crow, die einfach durch und durch ein so guter Mensch ist, dass man sich wahrlich eine Scheibe von ihr abschneiden kann. Doch Crow ist auch mutig, wissbegierig, erfindungsreich. Ohne je zu dick aufzutragen, gelingt es der Autorin dem Leser dies alles glaubwürdig zu präsentieren. 
Osh und Miss Maggie sind die besten Begleiter, die sich ein Leser nur wünschen kann. Sie sind interessante Nebencharaktere mit ihren eigenen Macken und eigenen Geheimnissen. Ich wollte immer mehr und mehr von ihnen erfahren. 
Auch die weiteren eher im Hintergrund stehenden Nebencharaktere waren nie farblos und blass, sondern besaß eine ganz eigene Ausstrahlung. Was auf so wenig Seiten bezogen wahrlich ein kleines Meisterwerk ist.

Der Schreibstil gefiel mir sehr gut. Phasenweise stimmte er mich sehr melancholisch und ließ mich mich selber wegträumen. Hin ans Meer auf eine kleine Insel mit salzverkrusteten Haaren und Sand zwischen den Zehen. Dann jedoch lockte er mich wieder fort und fesselte meine Aufmerksamkeit auf Feinheiten, die zusammengenommen auf ein großartiges Finale hoffen ließen.
Nie war der Erzählstil zu schnell, dass man nicht mehr hinterherkam bei all der Spannung, noch war er zu langsam, dass man das Buch aus der Hand hätte legen wollen. Das Buch hatte eine sehr angenehme Länge und ich konnte es in einem zügigen Tempo beenden. Dabei jedoch bin ich nie durch die Geschichte gerast, denn der Schreibstil fesselte mich wirklich so, dass ich der Geschichte nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch meine volle Konzentration schenken konnte. 

Ich vergebe 4.5 Sterne. Das Buch hat mich sehr gut unterhalten können, hat mir Platz gegeben, um dem Alltag zu entfliehen und mit Crow das Salzwassser auf der Haut und den Wind in den Haaren zu spüren. Empfehlen kann ich dieses Buch nicht nur jungen Lesern, sondern auch Erwachsenen, die eine Geschichte um eine starke, unabhöngige Protagonistin schätzen.