Rezension

Familiengeheimnisse und die Ruhe Norwegens

Die Birken wissen's noch - Lars Mytting

Die Birken wissen's noch
von Lars Mytting

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt:

Auf einem entlegenen Bergbauernhof im norwegischen Gudbrandstal wächst Edvard mit seinem wortkargen Großvater Sverre auf.

An seine Mutter hat er nur eine vage Erinnerung – an einen Duft, ein Gefühl von Wärme, einen blauen Rock. Denn die Eltern sind ums Leben gekommen, als Edvard drei Jahre alt war. Um ihren Tod wird ein Geheimnis gemacht, und auch um den Ort, an dem sie starben. Zu diesem Geheimnis gehört auch das Schicksal Einars, des Bruders des Großvaters. Edvard weiß nur, dass er ein Meistertischler war und als junger Mann zur Ausbildung nach Paris ging. Dass er seine Werkstatt mitsamt dem Wald von Flammenbirken zurückließ. Dass für den Großvater ein Sarg geliefert wurde, lange vor dessen Tod – ein Stück Kunsttischlerei, wie es noch nie jemand gesehen hat –, und dass Einar womöglich gar nicht tot ist, wie es der Großvater behauptete.

Die Geschichte einer verzweifelten Suche nach der Mutter, dem Vater, den eigenen Wurzeln – und einer Reise, die Edvard durch fremde Länder führt und dessen Familiengeschichte ein ganzes Jahrhundert umfasst: das Jahrhundert der großen Tragödien.

                                                                                                                                            

Zu Beginn der Geschichte erleben wir wie Edvard und sein Großvater Sverre auf ihrem entlegenen Hof in Norwegen als Kartoffelbauern leben und wie ihre Alltagsstruktur ihr Leben bestimmt. Dann stirbt der Großvater und zusammen mit seiner Jugendfreundin entdeckt Edvard beim Durchstöbern seiner Sachen, dass dieser offensichtlich Geheimnisse vor ihm hatte, die Sverre selbst,  seinen Bruder Einar, aber auch Edvards Mutter betreffen. Sein Großvater hatte Edvard nun zwanzig Jahre in einer Art Schutzkokon gehalten, was sich am Ende des Buches, wie ich finde, als großartiges Geschenk herausstellt, denn manchmal ist man so jung, dass Vergessen besser zu verkraften ist als die Wahrheit. Allerdings drängt jetzt, wo er tot ist, alles in Edvard nach der Suche nach der Wahrheit, seiner Herkunft, den Sinn für sein Leben und nach sich selbst. Er denkt, der Bruder seines Großvaters könnte doch noch am Leben sein und beginnt seine Suche an dessen letzten bekannten Aufenthaltsort auf den Shetland-Inseln. Auf den Shetland-Inseln trifft er auf Gwen, deren Familiengeschichte durch ihren Großvater und Einar miteinander verwoben ist, wobei ein spezielles Nussbaumholz, das von der Unglücksstelle in Frankreich stammt, an der Edvards Eltern starben, das Bindeglied zu sein scheint.

Das Buch strahlt eine unglaubliche Ruhe aus, als befände man sich inmitten norwegischer Wälder. Die Geschichte lässt sich die Zeit und den Raum, alles mit Bedacht anzuschauen. Trotzdem macht sie neugierig, wie es in Edvards Leben weitergehen mag und welche Geheimnisse er entdecken und klären wird. Ihn auf seiner Suche zu begleiten, ist sehr spannend und wie Edvard hat man keine Ruhe, bis die ganze Wahrheit aufgedeckt ist.

Sehr schön sind neben der spannenden Familiengeschichte auch die Beschreibungen der Landschaft, ob der Flammenbirkenwald in Norwegen, Edvards Wege in Frankreich, aber besonders auf den Shetland-Insel: man ist beim Lesen mitten drin in der Natur. Und dann natürlich die Bäume und das Holz: die Flammenbirken in Norwegen, die Walnussbäume in Frankreich und was Einar daraus geschaffen hat - faszinierend! Erwähnenswert ist zudem der wunderschöne Buchumschlag mit seiner Holzmaserung, die dem Leser über die Fingerspitzen eine besondere Verbindung zur Geschichte gibt.