Rezension

Farbenprächtig und voller Poesie!

Leinsee
von Anne Reinecke

Das berühmte Künstlerpaar Ada und Kurt Stiegenhauer war sich immer selbst genug. Da war wenig Platz für den gemeinsamen Sohn Karl. Früh ins Internat abgeschoben, sogar unter einem  anderen Namen, fühlte er sich immer ungeliebt und wie ein fünftes Rad am Wagen. Als sich der Vater erhängt, da die Mutter schwer erkrankt ist und ins Koma fällt, muss Karl nach Leinsee, dem Wohnort der Familie, um alle Dinge zu regeln. Mittlerweile hat er sich selbst einen Namen als Künstler gemacht und eine große Ausstellung steht bevor. Doch die Mutter erwacht allen Aussagen zum Trotz und Karl beschließt länger zu bleiben. Leinsee, der Ort, der ihm nie Heimat war, beginnt ihm zu gefallen. Und dann ist da dieses kleine achtjährige Mädchen, Tanja, das eine besondere Faszination auf den jungen Künstler ausübt.

Anne Reinecke hat ein wunderbares Debüt erschaffen. Auf mich wirkt es wie ein großes Gesamtkunstwerk, das mich durch seine eigenwillige und formenreiche Sprache sehr beeindruckt hat. Zahlreiche Wortneuschöpfungen haben es mir besonders angetan. Man sollte den Duden neu schreiben und Wörter, wie "Kaugummigrau", "Atelierbodendreck" oder "Gewürzregalfächer" müssten dringend aufgenommen werden. Sie perlen auf der Zunge wie ein guter Champagner. Allein wegen dieser Sprache ist das Buch für mich absolut lesenswert. Ich habe Farben entdeckt, von denen ich nie zuvor gehört habe, die aber so klar, so selbstverständlich sind, dass ich keinen Moment an ihnen gezweifelt habe.

Auch, wenn die Geschichte selbst nicht immer unbedingt glaubwürdig war, wenn es auch einige Ungereimtheiten gab, einige Sachverhalte nicht real erschienen oder nicht in unser Konzept von Moral und Verhaltenskodex passen. Ich habe jedes einzelne Wort genossen. Es ist mehr als nur reine Literatur, es ist pure Poesie und die Autorin hat das Stipendium völlig zu Recht bekommen. Absolut lesenswert!!