Rezension

Faszinierend, fesselnd und verstörend

Die Vegetarierin
von Han Kang

Bewertet mit 5 Sternen

Klappentext:

Yeong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. »Ich hatte einen Traum«, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als subversiv. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yeong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet.

 

Meinung:

Yeong-Hye und ihr Ehemann führen eine normale, absolut durchschnittliche Ehe. Schließlich ist gerade Yeong-Hyes Durchschnittlichkeit der Grund gewesen, warum ihr Mann sich für sie entschieden hat, denn mit ihr scheint er auf der sicheren Seite zu sein. Sie wird ihn keinesfalls überflügeln und als mittelklassig dastehen lassen. Doch von einem Tag auf den anderen verweigert sich Yeong-Hye allen tierischen Produkten, ist weder Fleisch noch Milch, Honig oder Eier. Ihr Mann ist irritiert und wütend, besonders da sie sich nicht umstimmen lassen will und als Grund nur angibt: "Ich hatte einen Traum." Auch ihre Familie kann Yeong-Hye nicht überreden, wieder Fleisch zu essen. Und als Yeong-Hye dann noch anfängt, sich öffentlich zu entblößen, eskaliert die Situation.

Yeong-Hye ihre Geschichte nicht selber, sondern wir erleben ihren Werdegang aus drei unterschiedlichen Sichten. Zuerst die ihres Mannes, dann ihres Schwagers und zuletzt die Sicht ihrer Schwester, alle erzählt in der Ich-Perspektive. Yeong-Hye kommt selber nur ganz kurz zu Wort. Und doch kann man sich als Leser ziemlich gut in sie hineinversetzen, denn Han Kang hat ihre Protagonisten sehr dicht gestaltet. Auch die anderen Charaktere lassen an Komplexität nichts missen und stehen so Pate für so einige Stereotypen, vor allem in der koreanischen Gesellschaft.

Ich muss sagen, dass ich das Glück habe, eine Koreanerin in meinem Bekanntenkreis zu haben und so kam man natürlich auch auf dieses Buch zu sprechen. Han Kang zeigt in diesem Buch die stumme Rebellion einer unterdrückten Frau, die es immer jedem Recht gemacht hat und nun einen Ausbruch aus ihrem festgefahrenen Leben sucht. Gerade die familiären Strukturen und Hierarchien sind sehr verworren und strikt in der koreanischen Gesellschaft. Und genau diese Zwänge setzen etwas in Yeong-Hye frei, was sich in zwanghaftem Verhalten äußert. So ist sie leider ein Opfer der Umstände, aber auch ein Mahnmal für andere. Denn wenn man ehrlich ist, lässt sich diese Geschichte auch auf andere Länder und Kulturen locker umlegen.
Sprachlich wie auch inhaltlich hat das Buch mich richtig fesseln können und dank der schönen bildhaften Sprache eine große Palette an Gefühlen, angesichts der doch überschaubaren Anzahl von Seiten, auslösen können: Wut, Ekel, Mitleid und Bewunderung sind nur einige der Empfindungen, die mich beim Lesen ergriffen haben. Insgesamt bleibt das Buch kurzweilig und sicher auch diskussionswürdig. Und jeden Geschmack wird es bestimmt nicht treffen, aber ich fand es großartig :)

 

Fazit:

Verstörend und hypnotisierend - so wird das Buch auf der Rückseite angepriesen. Und genau so ist es auch. Die Vegetarierin ist keine leichte Kost, bietet viel Stoff zum Nachdenken, wird bestimmt anecken und polarisieren und ist doch großartig erzählt.

Von mir gibt es 5 von 5 Punkten.