Rezension

Ferrari und Tefillin

Ihr sollt den Fremden lieben - Alfred Bodenheimer

Ihr sollt den Fremden lieben
von Alfred Bodenheimer

Bewertet mit 5 Sternen

Zu den immer wieder humorvollen Episoden von Alfred Bodenheimers Rabbi-Klein-Krimis gehört, wie Gabriel Klein den selbstdarstellerischen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Tobias Salomon, auflaufen lässt – diesmal u. a. in Bezug auf die qualitativ besten, teuren Gebetsriemen (Tefillin), die Salomon in den Sommerferien in Jerusalem für seinen Sohn Lionel gekauft hat. Salomon legt wert darauf, »dass sein Sohn wisse, wie man diese teuren Dinger handhabe, ob er es dann später tun wolle oder nicht. ›Auch ein Ferrari in der Garage ist ja immerhin ein Ferrari in der Garage«‹, meint Salomon (S. 131). Klein, der nicht auf die Idee gekommen wäre, dass man beides vergleichen könne, sagt zu Salomon, während er Lionel das Anlegen der Tefillin beizubringen versucht, es gebe zwei Unterschiede zwischen einem Ferrari und einem Paar Tefillin: »Erstens bräuchten Tefillin, selbst wenn man sie regelmäßig benutze, kein Benzin, und zweitens gebe es sie nur in einer Farbe, nämlich Schwarz. Ansonsten sei es bestimmt ein sehr guter Vergleich.« (S. 131) Später verweist der Rabbi noch auf weitere Unterschiede, die ich hier aber nicht vorwegnehmen will.

Abgesehen von dieser schönen Episode geht es in Rabbi Kleins viertem und jüngstem Fall um den Mord an einem Fernsehmoderator, in dessen Sendung Klein einige Stunden zuvor aufgetreten ist. Da er sein Handy beim Sender vergessen hat, fährt Klein nachts von zu Hause nochmals dorthin und findet den schwerverletzten Moderator Kim Nufener, dem er aber nicht mehr helfen kann. Nufeners Freund und Geliebter, der Modedesigner Lejser Morgenroth, den Klein von früher kennt, fürchtet, in Verdacht zu geraten, und bittet den Rabbi um seine Hilfe. Gegen den Rat seiner Frau Rivka – »… du kannst wunderbar zuhören, wenn andere Leute ihre Probleme ausbreiten und deinen Rat wollen. Aber sobald es um dich selbst geht, bist du vollkommen taub. Irgendwann hängt einem das zum Hals heraus, und ich bin, glaube ich, gerade an diesem Punkt angelangt« (S. 164) – hilft er Lejser, befragt Menschen und verfolgt verschiedene Spuren.

Bodenheimer lässt Leserin und Leser teilhaben an jüdischem Leben in der Schweiz und macht, wie in seinen anderen Büchern, jüdisches Bibelverständnis und jüdische Ethik zum Thema. Es geht um die Nächstenliebe – um das Gebot, den Fremden zu lieben, speziell um die Frage, ob dem Nichtjuden gegenüber das Gebot, ihm in Not zu helfen, genauso gilt wie gegenüber dem Juden und ob dazu auch der Schabbat entweiht werden dürfe. Ein weiteres biblisches Motiv des Buchs, das diskutiert wird, ist die Vernichtung des Feindes und damit Unschuldiger, einmal bezüglich der Vernichtung Amaleks, dann im Hinblick auf die Tötung der erwachsenen männlichen Einwohner von Sichem und der Mitnahme von Frauen und Kindern als Beute durch Jakobs Söhne Simon und Levi, als Strafe dafür, dass der Sohn des Fürsten ihre Schwester Dinah entführt und vergewaltigt hatte. Das Rachemotiv wie das Nächstenliebemotiv spielen eine Rolle bei der Lösung des Falls.

Bodenheimers Roman »Ihr sollt den Fremden lieben« hat keine Längen – jüdisches Bibelverständnis, eingebettet in jüdisches Leben, der Alltag des Rabbis und seines Umfelds und der Kriminalfall werden als Einheit erzählt. Man kann nur hoffen, dass Gabriel Klein weiterhin nicht auf seine Frau und auch nicht auf Kommissarin Bänziger hört, die ihn von seinen Ermittlungen abbringen wollen, und dass im kommenden Jahr der nächste Krimi mit Bodenheimers Rabbi erscheint.