Rezension

Fesselnd bis zur letzten Seite

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert - Joël Dicker

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
von Joël Dicker

„Die Wahrheit ändert nichts an dem, was man für einen anderen Menschen empfindet. Das ist ja die Krux mit den Gefühlen“ (S. 680)

Marcus Goldman ist der aufsteigende Stern am Literaturhimmel. Sein erstes Buch schlägt wie eine Bombe ein und macht aus ihm einen gefeierten, wohlhabenden Mann. Er unterschreibt einen Vertrag mit einem großen Verlag über mehrere Folgebücher und schlittert dann langsam aber unaufhaltsam in eine Schreibkrise.

Als der Verleger ihm schließlich mit Klage droht, sollte er sein zweites Buch nicht fristgerecht fertig stellen, flüchtet Goldman zu seinem früheren Mentor Harry Quebert. In der Abgeschiedenheit des Städtchen Aurora, hofft er die Inspiration zu finden um das geforderte Buch doch noch verfassen zu können.

Die Entdeckung aber, die er im Haus von Quebert machen wird und die darauffolgenden Ereignisse, sollen das Leben von Marcus komplett verändern.

Joel Dicker knallt uns rund 700 Seiten Buch um die Ohren und sagt nicht dazu was es sein soll. Ist es Literatur, Krimi, Liebesgeschichte oder doch eher Gesellschaftskritik? Ich würde sagen, ein bisschen was von all diesen Dingen und dann noch in der beinah perfekten Mischung. Wir erleben eine Männerfreundschaft, wie sie wohl nur einmal im Leben vorkommt, ein Lehrer und ein Schüler, die sich lieben wie Vater und Sohn und sich vielleicht gerade deswegen nichts schenken und sich das größte Geschenk des Lebens überhaupt machen – sie erlauben sich an der Ehrlichkeit des jeweils anderen zu wachsen.

Wir erleben eine Mutter, die besessen von seit jeher gültigen sozialen Normen geprägt, alle heiligen Zeiten bei ihrem Sohn anruft und ihm die Hölle im Bezug auf sein Single-Dasein heiß macht. Dabei bringt sie alle Waffen der emotionalen Erpressung gezielt und für  beeinflussbare Charaktere absolut tödlich zum Einsatz. Den LeserInnen entkommt beim Lesen hier sicher der eine oder andere herzhafte Lacher.

Eine Kleinstadt, gebeutelt von einem schrecklichen Verbrechen, hüllt sich in Schweigen und verschwindet lieber in totale Verdrängung als sich der Vergangenheit und ihrer Auswirkungen zu stellen.

Schließlich erleben wir mit Goldmans‘ Verleger den absoluten Mitläufer im Web 2.0 – Wahnsinn. Barnaski surft auf jeder Welle, die Geld verspricht mit. Um die nächste Million zu machen würde er wahrscheinlich seine Mutter samt Schoßhündchen dem Teufel verkaufen und am Scheiterhaufen des Social Media Hypes noch selbst anzünden. Alles für die Klicks, alles für die Verkaufszahlen. Ethik, Moral oder Respekt vor der Kunst existieren für ihn nicht.

Einzig die Liebesgeschichte bleibt auf weiten Strecken recht unnahbar. Als LeserIn ertappt man sich immer wieder dabei, dass man den Liebenden ihre tiefen Gefühle nicht ganz abnimmt. Nichts desto trotz hat der Autor einen Roman geschaffen, der bis zur letzten Seite spannend und unvorhersehbar bleibt.

Dicker nimmt uns mit auf eine Reise in den scheußlichsten Abgrund der menschlichen Seele um uns zu zeigen, dass genau dort auch die schönsten Eigenschaften eines Menschen wohnen können.