Rezension

Fesselnde Geschichte mit schwammigem Schluss

alias Grace - Margaret Atwood

alias Grace
von Margaret Atwood

Bewertet mit 4 Sternen

Ich bin ein großer Fan von Margaret Atwood. Ich liebe Bücher über wahre Begebenheiten und der Fall von Grace Marks war zu seiner Zeit, und auch noch lange darüber hinaus, aufsehenerregend.

Von diesem Buch hatte ich mir ein wenig mehr versprochen.

 

Das Dienstmädchen Grace Marks war erst 16 Jahre alt, als sie 1843 in Toronto wegen Mordes an ihrem Dienstherren verurteilt wurde. Bis dahin galt sie als brav, besonnen und fleißig. Wie kann sie in diese Situation geraten?

Margaret Atwood rollt ihre ganze Lebensgeschichte auf. Grace erzählt dem jungen Psychiater Dr. Simon Jordan alles, woran sie sich erinnern kann. Es ist 1851 als er auf ihren Fall aufmerksam  wird. Acht Jahre lang ist sie schon im Gefängnis, zwischendurch sogar im Irrenhaus.

 

Wirklich fesselnd und detailreich wird hier der Alltag eines armen Mädchens geschildert. Man liest, staunt und wundert sich, dass man sich so gar nicht langweilt, obwohl streckenweise nicht viel passiert. Frau Atwood beherrscht ihr Handwerk.

Grace´ Bericht wird immer wieder unterbrochen durch Vernehmungsprotokolle, Zeitungsberichte oder Briefe, die den historischen Mordfall betreffen. Das ist interessant und sagt viel aus über den Zeitgeist. Biedermeierliche Doppelmoral lässt zu, was „die Gesellschaft“ im Verborgenen treibt, prangert aber gnadenlos an, was bekannt wird. „Fehlverhalten“ jeder Art wird in den unteren Klassen erbarmungslos geächtet. Bisweilen reicht ein Gerücht, um die Stellung zu verlieren. Und Frauen geraten sehr viel schneller in Verruf als Männer. Auch in Grace Fall trägt die Gerüchteküche maßgeblich zur Verurteilung bei.

 

Der Fall der Grace Marks ist mysteriös und wurde nie aufgeklärt. Auch in diesem Buch legt sich die Autorin nicht fest und das ist das, was mir nicht gefallen hat. Zwei Drittel des Buches erzählen eine plausible Geschichte. Alle Figuren werden plastisch vorgestellt, Handlung und Motive sind äußerst nachvollziehbar, aber je näher es auf den eigentlichen Mord zugeht, desto schleierhafter wird das Geschehen. Wenn es brenzlig wird, fällt Grace in Ohnmacht und kann sich später nicht erinnern, zahlreiche Träume verwirren, bei einem Hypnoseversuch sprechen plötzlich Geisterstimmen, sehr schade. Eigentlich liest man einen Thriller und bekommt den Mörder nicht geliefert. Wenigstens eine Theorie hätte man uns gönnen können.

 

Trotzdem hat mich dieses Buch zum Großteil absolut gefesselt. Es ist lesenswert, erzählt es doch immerhin plausibel, wer Grace Marks war.  

 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 03. Januar 2018 um 17:34

Oh, ach ja, ich erinnere mich: das war dieses. Nein, ich verzichte. für mein sensibles Gemüt ist das gar nichts.

katzenminze kommentierte am 12. Januar 2018 um 19:22

Es passiert nichts Grausames. Das schlimmste ist tatsächlich die Doppelmoral. ;)

katzenminze kommentierte am 12. Januar 2018 um 19:24

Schöne Rezi! Es ging mir ja ähnlich, auch wenn ich den Stern aus etwas anderen Gründen abzog. ;) Schade, dass niemand mehr mit mir über die "Geisterstimmen" diskutieren wollte. Es gab hier so herrlich viel Interpretationspotential... :)

Sursulapitschi kommentierte am 12. Januar 2018 um 19:59

Oh, hab ich nicht mitbekommen. Asche auf mein Haupt. Die Geisterstimmen hätte man wirklich diskutieren können. Aber jetzt bin ich nicht mehr so drin im Thema.