Rezension

Flach, brutal und ohne Zauber - kurz gesagt enttäuschend

Die Seiten der Welt
von Kai Meyer

Bewertet mit 1.5 Sternen

Vielleicht eines vorweg: Ich habe mich auf dieses Buch gefreut. Sehr sogar. Als ich erfuhr, dass ich an der WLD-Leserunde teilnehmen darf, war ich total begeistert. Das Päckchen kam an, ich nahm das Buch heraus, bestaunte das schwarze Cover mit den filigranen Goldzeichnungen und entdeckte beim Durchblättern der Seiten dann auch noch eine kleine Überraschung. Danach konnte ich es kaum noch erwarten, endlich zu lesen. Obwohl ich die Leseprobe bereits kannte, fing ich von vorn an. Eingewickelt in eine Wolldecke saß ich da und genoss noch einmal die Atmosphäre der ersten Seiten.

Leider hielt dieser Genuss nicht lange an. Schon kurz nach dem vielversprechenden Anfang ging es bergab. Und das leider bis zum Schluss.

Bei dieser Geschichte ist es extrem schwer eine begründete Kritik abzugeben, ohne dabei zu spoilern. Deshalb kann ich an dieser Stelle nur einen Teil der Punkte nennen, die dieses Buch zu meiner bisher größten Lese-Enttäuschung überhaupt gemacht haben:

  1. Die Charaktere bleiben durchweg blass. Meyer hat es nicht geschafft, ihnen Leben einzuhauchen. Sie handeln zum Teil in nicht nachvollziehbarer Weise und entwickeln sich im Lauf der Geschichte nicht weiter.
  2. Ebenso blass wie die Charaktere bleiben leider auch die meisten Handlungsorte. Allen voran Libropolis. Es fühlt sich nicht magisch an. Eher nüchtern, so wie Kai Meyer es beschreibt: Libropolis war "ein gescheitertes Experiment: mehr Bücher, als irgendjemand besitzen wollte; mehr Geschäfte als Käufer, die über die Brücke kamen; und mehr Absicherung durch die Akademie, als wirtschaftlich sinnvoll war. Libropolis war ein Denkmal, kein Geschäftsmodell, und es war ein Wunder, dass so viele Bibliomanten das guthießen."
  3. Merkwürdig ist hierbei übrigens, dass sich einige der Figuren (unter ihnen Furia) in dieser Welt offenbar nicht auskennen, weshalb man zusammen mit ihnen informationsgeladene Monologe anderer Figuren über sich ergehen lassen muss. Anfangs fand ich es noch interessant. Später ziehen sich diese Abschnitte immer mehr und machen das Gesamtbild obendrein leider nicht gerade lebendiger.
  4. Letztendlich erhält der Leser auf diese Weise viele für die Geschichte unnötige Informationen, an den wichtigen Stellen dagegen leider kaum Erklärungen. Stattdessen serviert Meyer mehrfach unlogische bis hin zu eigentlich völlig unmöglichen Wendungen ohne sie auch nur ansatzweise zu erklären.
  5. Den langen Informationsabschnitten folgen noch längere Verfolgungsjagden. Sie machen einen sehr großen (und sehr ermüdenden) Teil der Geschichte aus.
  6. Zwischendurch wird man als Leser immerhin mit einer Hand voll genialer Ideen des Autors belohnt: Ypsilonzett, das Spalten der Seitenherzen oder der Wald der toten Bücher. Das ist fantastisch! Warum nur, hat der Autor diese Einfälle nicht ausgebaut? Da steckt so viel Potenzial drin. Aber leider bleiben sie die Ausnahme. Die meisten der Ideen, die ansonsten im Buch vertreten sind, lösen Dejavu-Erlebnisse aus. Ich habe mich mehr als einmal dabei ertappt, dass ich dachte: „Genau wie in Harry Potter / Tintenherz / Bookless / Die Stadt der träumenden Bücher………“ Nur leider nicht so gut geschrieben.
  7. Das lag nicht nur an den kargen Beschreibungen der Personen und Orte, sondern unter anderem auch an den zum Teil gestelzten Dialogen und dem nicht besonders poetischen Schreibstil (z.B. "oberschenkeldicke Baumstämme", "Kontrahentinnen", die einander "taxierten" oder Furia, die "versuchte zu schlucken, aber in ihrem Mund musste sich erst wieder Speichel bilden"...)
  8. Nur zwei Zitate empfand ich wirklich als fantastisch. Eines davon (S. 418): "...um sie raschelten die Seiten der Welt, als sie durch deren Zeilen stürzten, winzig im Schatten titanischer Lettern." Ich hätte wirklich etwas dafür gegeben, wenn sich dieser Stil durch das Buch gezogen hätte. Stattdessen verliert diese magische Formulierung all ihren Glanz, weil auf derselben Seite kurz zuvor Sätze wie diese zu lesen sind: "...gefolgt von einem Geräusch als würde ein Körper in Stücke gerissen. Warme Feuchtigkeit sprühte ihr ins Gesicht, und etwas Formloses landete mit einem Klatschen vor ihren Füßen. Sie erkannte ein Stück..." Ja, ein Stück von wem eigentlich?
  9. Richtig, von einer weiteren Hauptfigur. Die sterben in dieser Geschichte nämlich reihenweise eines gewaltsamen Todes. Obwohl es sich um eine Welt voller Magie handelt, werden die meisten Charaktere dabei allerdings nicht von (der übrigens ziemlich oberflächlich beschriebenen) Magie dahingerafft, sondern durch rohe physische Gewalt (von Dächern geschubst, geköpft, erschossen, aufgeschlitzt, von Bomben zerfetzt, von Soldaten hingerichtet...) – und das zum großen Teil ohne ersichtlichen Grund. Zusätzlich dürfen auch jede Menge Statisten dran glauben. So z.B. einen Satz später: "Im Hintergrund stürzten [Anmerkung: nette Formulierung für "sie wurden hinunter gestoßen"] sie wie Fallobst von den oberen Ranken. Wie betäubt nahm sie diesen Menschenregen wahr..." 
  10. Ich fühlte mich dabei auch langsam wie betäubt. Hätte ich ein anderes Buch vor mir gehabt, wäre das Ganze weniger tragisch gewesen. Aber die unnötige (phyische) Brutalität, die sich durch die ganze Geschichte zieht und zum Schluss hin immer penetranter wird, hatte ich einfach nicht erwartet. 
  11. Besonders unpassend fand ich, dass der Autor zwischen all der Gewalt ständig versucht die Stimmung aufzulockern, indem er im Anschluss an solche Szenen oder auch gerne mal mittendrin ein bisschen Humor einstreut. oO
  12. Eine Pressestimme zu diesem Buch lautet: »eine Liebeserklärung an die Magie des Lesens, wie sie Erwachsende lebenslang in der Erinnerung an die Lesewunder ihrer Kindheit suchen.« Zum einen habe ich den Eindruck, dass die betreffende Person das Buch mit Die Stadt der träumenden Bücher, Bookless, Harry Potter und/oder Tintenherz verwechselt (was ich ihr dank Punkt 6 nicht mal verübeln kann). Zum anderen habe ich diese Liebeserklärung an die Magie des Lesens in dieser Geschichte komplett vermisst. Gelesen wird hier nicht. Bücher dienen in dieser Geschichte ausschließlich als Transportmittel oder Waffe. Magische Momente? An einer Hand abzählbar. Leider...

Mein ernüchterndes Fazit: Eine gehetzte Geschichte mit blassen Figuren und Orten. Nicht gut durchdacht und oft unlogisch. Zwischen den Zeilen weder Liebe zum Lesen noch der Zauber der Bücher zu spüren. Rote Fäden werden ausgelegt, aber nicht zu Ende geführt. Als Sahnehäubchen ein uninspirierter, schwacher und schnell runtergelesener Schluss. 

Anderthalb von fünf Sternen. Einen halben Stern für das Cover und die vereinzelten frischen Ideen. Und wie bereits einer anderer Rezensent angeregt hat, einen Stern für die Marketing-Abteilung des Verlags. Die hat nämlich wirklich gute Arbeit geleistet. Ich wünschte von Herzen, die Geschichte wäre dem gerecht geworden. Das Potenzial dazu hatte sie allemal.

Kommentare

callunaful kommentierte am 07. November 2014 um 22:01

Ich kopiere mir mal deine Rezension und füge sie in meine Rezension ein, ja? ;)

fio kommentierte am 07. November 2014 um 22:13

; D