Rezension

Fragen, Fragen, keine Antworten

Rabenherz - Anja Ukpai

Rabenherz
von Anja Ukpai

Süße Geschichte, die den Leser in der Luft hängen lässt

Ein bisschen düster, aber auch wunderschön mit den zum Kleid formierten Raben und dem peppigen, neuen Logo von Thienemann-Esslinger/Planet ist das Jugendbuch "Rabenherz" von Anja Upkai eine echte Augenweide.

Der Klappentext hörte sich zwar nicht nach einer spektakulären Neuerfindung des Genres an - ein Internat, ein Geheimnis, eine Bedrohung und die große Liebe - trotzdem gibt es in der Sparte immer wieder angenehme Überraschungen; Bücher, in denen die „Basiszutaten“ richtig gut, neu gemischt werden und eine ganze eigene Note entwickeln. Kurzum: Ich war gespannt, ob auch "Rabenherz" dies gelingen würde.

Am Ende der Geschichte bin ich nun allerdings etwas ratlos. Das soll es gewesen sein? Wann genau hatte die Handlung denn richtig angefangen? Wo war die große Liebe? Und vor allem: Um welches Geheimnis geht es bloß? Aber der Reihe nach!

Nach den ersten zehn Seiten dachte ich „Huch, das kenne ich doch“: Da gibt es ein junges Mädchen mit einer jüngeren Schwester und einer backwütigen Tante, eine altehrwürdige Schule, drei gut aussehende Jungs (vier, wenn man den jungen Mr. Winston hinzurechnet) eine Oberzicke und diese kleinen auflockernden Texte zu Beginn jeden Kapitels. Kommt Euch das bekannt vor? „Silber“ von Kerstin Gier bietet ein ganz ähnliches Setting und ich denke, an deren Stil hat sich die Autorin auch orientiert. Allerdings ist Kerstin Gier im Jugendbuchbereich eine Klasse für sich und ein Vergleich fällt für viele Autoren ungünstig aus.

Anja Upkai gelingt es allerdings besonders zu Anfang mit einem kleinen Buchladen, einer Falknerei und viel Nebel trotz der Ähnlichkeiten eine urgemütliche Szenerie zu schaffen und die Richtung für eine eigene unterhaltsame Mädchen-Mystery-Geschichte vorzugeben. Nur … so richtig laufen ihre Ideen dann nicht zusammen.

Da ist einmal das Internat Saint Gilbert, das irgendeine Art Geheimnis birgt. Vor langer Zeit sind Kinder dort verschwunden. Aus diesem Grund ist den Schülern das Betreten des umliegenden Parks verboten. Bis heute hält sich die Legende von der Existenz eines Monsters. Die übernatürlich begabte Juniper Adams, die über ein Stipendium an die Saint Gilbert gekommen ist, erfährt von der Leitung, dass sie in großer Gefahr schwebt. Diese hat mit den alten Legenden zu tun, doch so richtig spricht darüber niemand. Junes Tante Phoebe ist erschrocken, aber sie erlaubt June weiter zur Schule zu gehen. Dort beschäftigen June und deren beste Freundin Emma vor allem der junge, neue Lehrer Mr. Winston sowie die drei gut aussehenden Schüler Jacob, Rodney und Liam. Und (leider) auch immer wieder Zicke Rachel mit ihren arroganten Sprüchen. Dann geschehen plötzlich seltsame Dinge. June findet ein geheimnisvolles Pergament in ihrem Pult, sieht geisterhafte Wesen und immer wieder taucht ein Rabe in ihrer Nähe auf. Anscheinend lastet auf Saint Gilbert ein Fluch, bei dem June eine entscheidende Rolle spielt.

Während ich dies schreibe, merke ich wieder, wie wenig rund alles ist. In den meisten Kapiteln geht June in die Schule, trifft dort auf die drei Jungs, Rachel oder Emma und fährt wieder nach Hause. Auf dem Rückweg geschieht ab und zu etwas Mysteriöses; mal meint June einen Geist zu sehen, mal einen Schatten oder besagten Raben. Aus unheimlichen Szenen geht die Autorin aber viel zu schnell wieder raus und bleibt auch an den vielen, schönen Ideen nicht hartnäckig genug dran: ein Geist in der Buchstube, die Erscheinungen im Park, das alte Pergament – das alles wird zu ungenau in die Geschichte gestreut.

Je mehr Seiten des Buches von rechts nach links wanderten, desto stärker hatte ich den Eindruck, dass sich die einzelnen Szenen kraftlos aneinanderreihen. Tatsächlich werden kurz vor Schluss immer noch nebulöse Andeutungen vom Anfang wiederholt, statt neue Erkenntnisse für den Leser offen zu legen. Dialoge wie diese sind ganz typisch: „Es ist uns unmöglich, Sie über die genauen Umstände der Gefahr in Kenntnis zu setzen, aber wir werden Ihnen den bestmöglichen Schutz zukommen lassen“ und ziemlich gegen Ende: „Überlassen Sie die Einschätzung über die Gefahr, die Sie nicht kennen, bitte den Erfahrenen.“ Der Story fehlt meinem Empfinden nach eine Balance zwischen Geheimnis, Entwicklung und Auflösung. Vor allem der paranormale Anteil blieb mir ein Rätsel: Es geht um Hellsichtigkeit, die Gabe Geister zu sehen und irgendwann ansatzweise um Gedankenkontrolle. Aber so richtig werden diese Fähigkeiten nicht erklärt.

Die Charaktere sind insgesamt sehr kindlich. Im Vordergrund steht die Schwärmerei der Mädchen für die Jungs, sodass die Lektüre wohl eher etwas für jüngere Mädchen (10+) sein mag. Unabhängig davon ist mir leider keine der Figuren wirklich ans Herz gewachsen. Als Ich-Erzählerin hat mir June zu wenig Substanz – sie treibt durch die Handlung, wirkt dabei aber ziemlich unsicher und ist schnell aus dem Konzept zu bringen. Die übrigen Figuren waren farblos bis neurotisch. Die liebenswürdige Tante Phoebe etwa warnt ständig vor einer Gefahr, aber im nächsten Moment scheint sie ihre Sorgen vergessen zu haben und backt Kekse. Gar nicht einschätzen konnte ich die drei Jungs – jeder von ihnen hat ein paar Szenen und man bekommt als Leser schon mit, dass Junes Gefühle zu Jacob pendeln, aber eine große Liebe war das für mich nicht.

Der Schreibstil ist frisch und jugendlich. Immer wieder gibt es hübsche Passagen, die nur eben leider in kurze, abgehackte Szenen und zu viel Geheimniskrämerei eingebettet sind.

Der Schluss kommt abrupt, ohne Hinweis auf eine Fortsetzung, die aber im Herbst unter dem Titel „Rabenkuss“ veröffentlicht wird.
Vielleicht gibt es dann ja Antworten auf die vielen offenen Fragen.