Rezension

Fredy Ben Nemsi oder Das Lied der Straße

Tel Aviv - Berlin - Fredy Gareis

Tel Aviv - Berlin
von Fredy Gareis

Bewertet mit 5 Sternen

Stellt euch vor, ihr kennt da einen Typen namens Fredy, und der sagt zu euch: Ich fahre jetzt mit einem Billigbike von Tel-Aviv nach Berlin und ihr sagt: Das ist doch bescheuert!
Könnt ihr euch vorstellen? Dann seid ihr bei diesem Buch wahrscheinlich an der falschen Adresse.
Für alle anderen: Willkommen im Abenteuerland!

Denn da ist er: Fredy Ben Nemsi, der deutsche Reporter, der einfach mal loslassen wollte. Das Leben, das sich irgendwann nur noch wie eine Tretmühle anfühlte, der Job, der eine Mischung aus Adrenalin, Lügen und Überleben darstellte, die Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnisse der letzten Jahre verarbeiten. Und wie könnte man das besser als allein auf der Straße? Er braucht sich jetzt jedenfalls nichts vorwerfen lassen in Bezug auf "The road not taken", denn Fredy nahm sie alle. Die asphaltierten, die staubigen, die holprigen, die schlammigen, die, bei denen ihm die Autofahrer fast einen Freiflug in Himmel oder Hölle spendiert hätten (ja, über das Ziel könnten sich die Geister streiten, wohl wahr, denn Fredy ist weder sinner nor saint), die Straßen, auf denen er von Hunden angegriffen wurde, die Straßen, auf denen er ausgeraubt wurde, die Straßen, auf denen er Menschen kennenlernte, mit ihnen sprach und aß und lebte und zuhörte und reflektierte.

Was für ein Ritt! Was für Erlebnisse! Wer Fredy Ben Nemsi begleitete und sei es auch nur auf den Seiten dieses Buches, erlebte alles mit, sah und hörte und roch und spürte. Ließ sich vom Wind peitschen und von der Sonne verbrennen, fluchte über eiskalte Hände und verlorene Handschuhe, bibberte in strömenden und bis auf die Knochen auskühlenden Regen. Ganz nebenbei lernte er nicht nur viel über den Menschen Fredy, sondern auch über die 16 Länder, die er durchquerte, denn der Autor hat die Fähigkeit, von einem Erlebnis zu Landeskunde und zu einem älteren Erlebnis oder einer Erkenntnis zu springen, vom Hundertste ins Tausende, ohne auch nur einen Moment den roten Faden zu verlieren. Das Buch entwickelt somit einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann und auch nicht will, das Ende kommt nach vier Fahrradmonaten viel zu schnell und hinterlässt Wehmut, als wäre man selbst auf dem Rad unterwegs gewesen und hätte erlebt, wovon Fredy mit einer eindringlichen Kraft erzählt, als säße er seinem Leser am Lagerfeuer gegenüber. Großes Kino, verdammt großes Kino.

Fazit: Für alle, die den Sinn für Abenteuer nicht verloren haben, für diejenigen unter uns, die vor zwanzig oder dreißig Jahren heimlich Karl May unter der Bettdecke gelesen haben oder es immer noch tun. Lest es, ihr werdet es nicht bereuen.