Rezension

"Früher war alles besser", so sagt man. Ob das wirklich der Fall ist?

Roter Herbst in Chortitza - Tim Tichatzki

Roter Herbst in Chortitza
von Tim Tichatzki

Bewertet mit 5 Sternen

Beschreibung:

Der Autor Tim Tichatzki nimmt uns in seinem Debüt  in die Jahre 1919 bis 1947. Eine Zeit in der Angst und Schrecken an jeder Ecke lauerte. Mit diesem Werk schrieb er die Lebenserinnerungen seiner Schwiegermutter nieder.

Er erzählt die Geschichte zweier Freunde, Maxim und Willi, die Beide in Osterwick aufwachsen. In diesem Dorf leben überwiegend Mennoniten, die sich ihrem Glauben verschrieben haben sowie Abstand von jeglicher Gewalt nehmen. Im Laufe der Zeit kämpft Willi mit seiner Familie ums nackte Überleben, während Maxim sich auf die Seite des Regimes schlägt. Die Freundschaft entzweit und keiner der Beiden weiß ob sie sich je wieder sehen werden.
 

Meinung:

Obwohl ich das Buch bereits vor einigen Tagen beendet habe, weiß ich ehrlich gesagt immer noch nicht wo ich anfangen soll. Die Geschichte hat mich einfach überwältigt und aufgewühlt, ging mir unter die Haut. Natürlich bekommt man ab und an mal wieder mit, wie der Krieg über die Kontinente fegte. Hört verschiedenen Berichte hier und da. Vielleicht bekommt man sogar mal etwas von jemandem erzählt, der mitunter selbst dabei war. Doch diese Menschen gibt es immer weniger und bei vielen sitzt der Schmerz so tief, dass sie es nicht wagen darüber zu sprechen – so die Erfahrung aus meiner Familie.

Ich ziehe zuerst einmal den (virtuellen) Hut vor Tims Schwiegermutter, dass sie die Kraft hatte ihm von den Geschehnissen zu erzählen. Ihn an ihrer Geschichte teilhaben zu lassen. Zudem möchte ich auch dem Autor ein großes Lob für seine Recherche Arbeit zukommen lassen.

Bereits zu Anfang fiel  mir sehr positiv auf, dass die Kapitelüberschriften immer einen kleinen Einblick auf das Geschehen geben – ohne aber zu viel zu verraten – außerdem sind sie mit Ort und Zeitangaben versehen, was sehr hilfreich ist. Auf den ersten Seiten des Buchs findet der Leser zusätzlich noch eine kleine Landkarte, sodass er sich problemlos zurechtfinden kann. Tim Tichatzki hat außerdem einen sehr einnehmenden und flüssigen Schreibstil, sodass man sich von Anfang an einfach in die Geschichte befördert fühlt. Ich fand schnell in das Buch und wollte es nicht mehr aus der Hand legen, lediglich um das „Erlebte“ zu verarbeiten.

Sehr gut gefielen mir die Beschreibungen der mennonitischen Siedler, ihrer Grundsätze, wie sie lebten, alles einfach. Ich finde es absolut bewundernswert, dieses friedliche Miteinander und man kann das Gemeinschaftsgefühl regelrecht herauslesen. Obwohl die Thematik des Buchs sehr ernst ist, und auch beim Lesen nicht immer leicht zu verdauen, hat der Autor es geschafft all diese Brutalität „sehr schön“ zu verpacken. Er schafft es einem das Grauen vor Augen zu führen, aber einem dennoch keine zu extremen Bilder in den Kopf zu pflanzen.

Es war interessant über all die Machenschaften zu lesen, die damals in der Ukraine oder auch Russland vor sich gingen. Söldner/ Miliz, welche ein Verhaftungssoll erfüllen mussten. Bauern, die durch Verhaftung quasi zur Enteignung gezwungen wurden. Der Staat, wie er die Bauern „versklavt“ und ausnimmt, sodass diese letzten Endes den Winter kaum oder gar nicht überstehen. Das alles aus der Sicht eines Dorfes, das wohl am Wenigsten für all das kann – oder daran mitgewirkt hat.

Manchmal hatte man solche lichten Momente, in denen man Hoffnung hegt, dass sich nun endlich alles zum Besseren wendet. Die Deutschen evakuieren das Dorf. Bis nach Thüringen ging die Reise. Doch weit gefehlt, denn dies wurde zur russischen Besatzungszone. Auch erfährt man, dass die Alliierten einen Vertrag hatten, alle ehemals russischen-deutschen sind an die Russen auszuliefern. So kamen sie vom Regen in die Traufe. Ich entsinne mich nicht davon je in unserem Geschichtsunterricht gehört zu haben, somit ein sehr interessantes wie auch schmerzliches Detail unserer Vergangenheit.
 

Fazit:

Es ist kein ermüdendes Sachbuch. Es ist ein Buch, das unter die Haut geht und die  Geschichte aus der Sicht einer betroffenen Familie erzählt. Eine Reise in die Vergangenheit, die wir uns so nicht vorstellen können. Mich hat es überwältigt, mitgerissen, aufgewühlt und darum würde ich es jedem empfehlen, der gerne einen Blick in diese Zeit werfen möchte.