Rezension

Für die Vielfalt

Artenreich - Joel Sartore

Artenreich
von Joel Sartore

 Es ist erschreckend, dass man in unserer heutigen Zeit mehr denn je darauf hinweisen muss, wie einzigartig und schützenswert die Natur ist, wie vielfältig und bedroht. Eigentlich sollte man meinen, dass der Mensch aus seinen Fehlern gelernt hat und einige haben das sicherlich auch, aber die meisten von uns leben trotzdem noch nach der Divise "Nach mir die Sintflut". Umso wichtiger finde ich Bildbände wie Artenreich, welcher ein Teil von Joel Sartores Projekt Photo Ark ist, bei dem er jede einzelne der geschätzt 12.000 "in Gefangenschaft, das heißt in menschlicher Obhut lebende Spezies der Erde ablichten" will. Ein großes Projekt und ein wichtiges, denn mit diesem Projekt möchte Sartores den "Niedergang der weltweiten Biodiversität" aufhalten.

"Dass Sie gerade dieses Buch lesen, ist ein Beleg für Ihr Interesse am Artenschutz. Sie wissen vermutlich auch, dass gegenwärtig Arten schneller ausgelöscht werden als zu jedem anderen Zeitpunkt der Erdgeschichte seit dem Aussterben der Dinosaurier."
(Harrison Ford, Seite 11)

Artenreich ist ein prächtiger Bildband, so schön und faszinierend, dass mir die Worte fehlen, ihn angemessen zu beschreiben. Meine Liebe für dieses Buch fängt schon mit mit dem edlen schwarzen Cover und dem dazu passenden schwarzen Buchschnitt an. Sobald man den Buchdeckel öffnet erwartet mich eine unfassbare Vielfalt an Fotografien. Noch vor dem Titelblatt gibt es die erste Fotografie, die mein Tierliebhaberherz dahinschmelzen lässt: Jungtiere des Großen Pandas, die miteinander kuscheln. Und auch vor dem Vorwort warten atemberaubend schöne Fotos. Vor allem das der blau leuchtenden Hunduracke könnte ich stundenlang betrachten.

"Ich sehe mich als Tierbotschafter, als Stimme für die, die keine Stimme besitzen."
(Joel Sartore, Seite 32)

Das Vorwort ist eine weitere schöne Überraschung, denn es wurde von niemand Geringerem als Harrison Ford geschrieben, der nämlich nicht nur Schauspieler, sondern auch stellvertretender Vorsitzende im Vorstand von Conservation International ist. Und leider bestätigt auch Harrison Ford noch einmal, dass Artenschutz in der heutigen Zeit wichtiger und nötiger denn je ist. Eine traurige Tatsache, eine, bei der man nur den Kopf schütteln kann. Wie kann das sein?

"Stellt man sich die Natur als einen Wandteppich vor, wäre jede einzelne Art ein Faden darin. Welche Fäden das Ganze zusammenhalten, wissen wir nicht; jeder, der herausgezogen wird, könnte dazu führen, dass sich das Gewebe insgesamt auflöst."
(Harrison Ford, Seite 11)

Joel Sartore möchte mit seinem Bildband ein Bewusstsein schaffen. Er möchte, dass die Menschen sich die Tiere in diesem Buch ansehen (die manchmal auch zurückschauen) und sich fragen: was passiert, wenn diese Art für immer ausgelöscht wird? Und viel wichtiger noch, was kann ich tun, damit das nicht geschieht? Wie kann mein eigenes Handeln dazu beitragen, dass die Biodiversität erhalten bleibt?

"Kein Einzelner kann die Welt retten, aber jeder Einzelne kann sicherlich etwas Bedeutendes leisten"
(Joel Sartore, Seite 33)

Und die Fotos selbst? Die sind in fast schon poetische Kategorien eingeteilt. Da ist zum Beispiel das erste Kapitel namens Spiegel, dessen Fotos durch Reflexion Verständnis, Mitgefühl und Empathie auslösen sollen. Zu den hier abgelichteten Tiere bauen wir schnell eine Verbindung auf, wir nehmen artenübergreifende Ähnlichkeiten wahr und ziehen Parallelen von uns zu den Tieren. Kurz gesagt, das erste Kapitel öffnet unsere Herzen für die Vielfalt der Fauna. Da ist der winzige Bengalische Plumplori mit seinen großen braunen Augen, da ist der Polarfuchs mit seinem neugierig schief gelegten Kopf und die Gottesanbeterin mit genau der gleichen fragenden Körperhaltung, da ist der allzu menschliche Schimpanse, oder die Riesenassel, die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem südlichen Kugelgürteltier hat. Dieses Kapitel nennt sich auch Spiegel, weil es völlig unterschiedliche Arten auf eine Art und Weise zeigt, bei der sie sich plötzlich unfassbar ähnlich sehen. Streifenbeutler und Weißkehlwaran mit ihren herausgestreckten Zungen. Südafrika-Kronenkranich und Karibische Goldrose mit ihren verrückten "Frisuren", die echten und die dekorativen goldenen Augen von Bananenfalter und Virginia-Uhu... Ich könnte ewig so weitermachen und jedes einzelne Paar benennen, weil sie mich alle faszinieren und ich mich in jedes einzelne verlieben könnte, ja vielleicht sogar schon verliebt habe.

"Die Tiere, die ich fotografiere, verhalten sich passiv oder aggresiv, scheu oder angeberisch, albern oder verspielt. Mit anderen Worten: genau wie wir."
(Joel Sartore, Seite 317)

Im zweiten Kapitel Partner werden uns tierische Paare vorgestellt. Manche sind gehen eine Verbindung fürs Leben ein, manche führen kurzfristige Beziehungen, manchmal zeigen die Fotos Geschwister und manchmal Eltern mit ihren Kindern. Die Partnerschaften im Tierreich sind so vielfältig wie bei uns Menschen. Das dritten Kapitel Gegenüber beschäftigt sich mit der Anziehungskraft, die das Andersartige auf uns ausübt. Es ist das Gegenteil zum Kapitel Spiegel, denn hier geht es nicht um Verbindungen, die aufgrund von Ähnlichkeiten entstehen, sondern um Verbindungen die durch das vollkommene Fehlen von Ähnlichkeiten wachsen. Hier geht es um Schmrotzer, um Rivalen, um Konkurrenz, um Jäger und Beute und um geborene Antagonisten. Nirgendwo gibt es so viele und so extreme Kontraste wie in der Natur, was sie nur noch schützenswerter macht.

  Und dann ist da noch das vierte Kapitel, das mich vermutlich am meisten fasziniert, weil es sich mit Tieren befasst, die in kein Schema passen: Kuriositäten. Diese Tiere beweisen, wie einzigartig die Natur ist, wie wunderschön, wie vielfältig, wie besonders. Zu diesen Kuriositäten gehören der frech schauende Selayar-Koboldmaki, der Afrikanische Mondspinner mit seinen überdimensionalen Antennen, das nachaktive Fingertier, die Wolfsspinne mit ihren vielen unterschiedlich großen Augen oder der Barton-Langschnabeligel.

"Niemand kann diese einfühlsamen Porträts sehen, ohne von ihnen begeistert zu sein oder sich motiviert zu fühlen, alles Menschenmögliche für den Schutz und Erhalt der Tiere zu tun. Auch unsere Kinder und Enkel sollen diese unglaublichen Tierwesen bestaunen können."
(Jane Goodall, Klappentext)

Zwischen den über 400 Fotografien finden sich neben Zitaten und Anektdoten auch immer wieder Doppelseiten, auf denen Menschen wie Jack Rudloe, Brian Gratwicke oder Don und Ann Butler vorgestellt werden, die einen besonderen Beitrag zum Artenschutz leisten. Und es gibt immer wieder Doppelseiten namens Hinter den Kulissen wo gezeigt wird, wie die Fotos entstanden sind. Und wie etwa der schwarze oder weiße Hintergrund erzeugt wurden, denn einige Fotos sind tatsächlich im "Studio" entstanden, mit den Tieren als äußerst eigenwilligen Models. Wichtig war es hierbei, die Fotos so schnell wie möglich zu machen, um den Tieren Stress zu ersparen. Oft wurde der Hintergrund schon Tage vorher angebracht, sodass sich die Tiere daran gewöhnen konnten. Und ich finde, dass man an den Fotos sieht, dass sich die Tiere zwar mal temperamentvoll und mal schüchtern, mal verschmust und mal angriffslustig verhalten, dass sie aber nie gestresst oder verängstigt aussehen.

Artenreich ist nicht nur ein beeindruckendes Buch voller atemberaubender Fotos, bei denen einem das Herz aufgeht. Es ist vor allem auch ein wichtiges Buch, das in den Artenschutz und seine Bedeutung wieder in den Fokus rückt. Wem es geht wie mir, wer etwas für den Artenschutz tun möchte, der kann nicht nur dieses Buch kaufen, er kann sich auch auf www.natgeophotoark.org über Joel Sartores Projekt Photo Ark informieren. Ich werde es tun, denn für viele der hier vorgestellten Arten wird die Zeit knapp, manche sind in freier Wildbahn bereits ausgestorben. Hoffen wir, dass wir unseren eigenen Beitrag für die Biodiversität leisten können.

(c) Books and Biscuit