Rezension

Für Kriminostalgiker

Der Mieter, 1 Audio-CD - Marie Belloc Lowndes

Der Mieter, 1 Audio-CD
von Marie Belloc Lowndes

Bewertet mit 4 Sternen

Kunstkopfstereofonie - vor ungefähr zwei Jahren konnte ich mir unter dem Begriff noch nichts vorstellen. Inzwischen weiß ich, dass es sich um eine spezielle räumliche Aufnahmetechnik handelt, die bei Hörspielen suggeriert, dass man sich mitten im Geschehen befindet - vorausgesetzt, man setzt Kopfhörer auf. Bei meinem ersten 3D-Hörspiel ("Die Wendeltreppe") war ich beeindruckt, weil ich teilweise wirklich glaubte, jemand hätte an die Tür geklopft oder den Raum betreten. Die Geräusche wirkten täuschend echt.

Drei alte Hollywoodthriller hat der rbb mit dieser Technik produziert, alle sind mit professionellen Schauspielern und Synchronsprechern besetzt. Gerade erst Premiere hatte das Stück "Der Mieter", das auf Alfred Hitchcocks Stummfilm "The Lodger" (1927) basiert, seinerseits eine Adaption des Romans von Marie Adelaide Belloc Lowndes.

Während im Londonder East End Jack the Ripper sein Unwesen treibt, zieht bei Ellen ein mysteriöser neuer Mieter ein. Ein echter Gentleman, wie Ellen meint, allerdings einer mit seltsamen Marotten. Nachts verlässt er heimlich das Haus, er trägt geräuschschluckende Gummischuhe, verschließt seine Schränke und schleppt eine schwere Tasche mit sich herum. Als Ellens Tochter Daisy - die äußerlich genau ins Beuteschema des Rippers passt - unerwartet nach Hause kommt, kann Ellen sich einem ganz speziellen Verdacht nicht mehr verschließen.

Ist der Mieter Jack the Ripper oder nicht? Stirbt die junge Daisy oder nicht? Tut Ellen das Richtige oder nicht? Drei Fragen, die die Spannung hochhalten. Einige Szenen - etwa, wenn Ellen sich in Schwärmereien für den kultivierten Mieter verliert - sind mit arg schwülstiger Musik unterlegt, die man für meinen Geschmack gerne hätte weglassen können und für das Ende hätte ich mir ehrlich gesagt noch eine gute Pointe gewünscht. Ansonsten gibt es nichts zu kritisieren, das "Lodger"-Remake ist Kriminostalgie pur.

Regina Lemnitz, die Synchronstimme von Whoopie Goldberg und Katie Bates, glänzt in der Rolle der verunsicherten Vermieterin Ellen, die sich einerseits immer weniger ihrem grauenvollen Verdacht entziehen kann, andererseits aber auf das Geld des Mieters angewiesen ist und sich von ihrem Wunschbild des Gentlemans nur schwer frei machen kann. Regina Lemnitz verleiht Ellen kann das richtige Maß an Uneindeutigkeit und moralischen Zwiespalt, um sie für den Hörer interessant zu machen. Ab und zu möchte man sie schütteln, weil sie gar so schwer von Begriff scheint, dann muss man sich gewaltsam ins Gedächtnis rufen, dass wirtschaftliche Abhängigkeit für viele ein guter Grund ist, die Füße still zu halten und die Augen vor Unrecht zu verschließen. Das ist nicht nett, aber menschlich. Und sorgt hier für eine beunruhigende Atmosphäre. Fazit: Wie gesagt, eine überraschende Wendung gegen Ende wäre nett gewesen, ansonsten solide Krimikost. Das dritte Kunstkopf-Hörspiel der rbb-Hollywood-Trilogie, "Der Verdacht", kommt direkt auf die Wunschliste!