Rezension

Ganz gleich, wie alt man ist, die "Unendliche Geschichte" ist ein Feuerwerk und Katalysator für die eigene Fantasie.

Die unendliche Geschichte - Michael Ende

Die unendliche Geschichte
von Michael Ende

Inhalt:
Was geschieht in Büchern, wenn sie keiner liest? Gibt es Geschichten, die nie vorbei sind? Wer leidet nicht mit den Charakteren, freut sich mit ihnen über ihren Erfolg? Verändert das Lesen einer Geschichte den Leser oder der Leser die Geschichte und seine Charaktere?
 
Bastian Balthasar Bux wird von seinen Mitschülern gemobbt und gehänselt und findet Zuflucht in der alten Buchhandlung von Herrn Koreander. Dort kann er sich nicht zurückhalten und nimmt das Buch "Die unendliche Geschichte" an sich, schwänzt den Unterricht und beginnt zu lesen...
 
Im Reich Phantásien geschieht etwas. Eine undurchdringliche Dunkelheit frisst Land sowie Bewohner auf. Alles was übrig bleibt, ist ein dunkler Fleck, ein NICHTS. Die Kindliche Kaiserin ist ebenfalls erkrankt und die fähigsten Mediziner aller Übernatürlichen wissen nicht, was zu tun ist. Doch bei einem sind sich alle Berater sicher: Stirbt die Kindliche Kaiserin, stirbt auch Phantásien.
Ein Krieger wird bestimmt, der das Kleinod "Auryn" tragen soll und auf die Große Suche geht. Die führt ihn zu der alten Schildkröte Morla, dem ältesten Geschöpf Phantásiens. Und sie gibt den Startschuss für ein Abenteuer, das noch keiner in Phantasien jemals erlebt hat und das über die Grenzen des Buches hinausgeht. Oder die Grenzen – zumindest für Bastian – komplett einreißt.
 
Meinung:
Wer kennt sie nicht, die "Unendliche Geschichte" - zumindest in meinem Alter ist dies noch mit DEM Film überhaupt damals verbunden - inklusive Flug auf Fuchur in den Bavaria-Filmstudios.
Im letzten Jahr hatte ich bereits begonnen, meinen Kindern unsere alte Ausgabe vorzulesen. Dem Großen ging das dann eindeutig zu lange und er hat das Buch ohne mich fortgesetzt.
 
Die Neuauflage der Originalausgabe, die vor kurzem bei uns eingezogen ist, hat mich immer stärker gerufen und irgendwann konnte ich nicht mehr widerstehen und begab mich mit Bastian auf eine buchische Reise ins Reich Phantásiens.
Ich weiß nicht, wie es anderen geht, oder ob mich der Film in meiner Kindheit so sehr prägte ... Ich hatte insbesondere am Anfang die exakten Bilder von Bastian, Herrn Koreander und Atréju im Kopf. Ich sah jede einzelne Szene vor mir, was durch die sehr ausschweifenden Beschreibungen nicht schwer fiel. Und obwohl ich die im Normalfall spätestens nach zwei Kapiteln nervig finde, flog ich dennoch über die Seiten. Auch der – mittlerweile – doch recht antik anmutende Sprachstil störte mich nicht. Aber jetzt nach dem Lesen bezweifle ich, dass mein Sohn (9) alles im Buch richtig verstanden hat. „Toll“ beispielsweise hat für ihn nur noch eine Bedeutung, die so rein gar nichts mit „verrückt“ zu tun hat.
 
Wenn man eine Geschichte schon kennt, achtet man auf ganz andere Details. Hierbei fiel mir auf, dass Protagonist Bastian noch schlimmer ist, als jedes heute gängige Klischee in Büchern. Er ist ein Versager auf ganzer Linie, der außer Lesen und Fantasie zu haben nichts auf die Reihe bringt. Als Mama sträubt sich mir hier das Nackenhaar. Auch ich habe zwei kleine (Vor-)Leseratten, die zum Glück jedoch auch außerhalb der fantastischen Welten, in denen wir uns begegnen, aktiv sind. Dennoch macht Michael Ende in seinem Werk deutlich, was mir heute leider zu oft begegnet: Die wenige Freizeit, die Kinder oftmals haben, die Aufforderung „im Jetzt“ zu leben und sich nicht hinfortzuträumen, raubt den Kindern einen Teil ihrer Fantasie.
Am meisten beeindruckt hat mich die Unterhaltung von Atréju und dem Antagonisten Gmork. Allein dieses Kapitel birgt so viel Wahrheit: Dass sich Fantasien und Lügen nicht sehr unterscheiden, dass beides einem Kopf entsprungen ist, Geschichten sind. 
 
Noch bevor Bastian die "Unendliche Geschichte" klaut, erhält der Leser eine Liebeserklärung an Bücher und das geschriebene Wort. Kaum ein Autor bringt das Verhältnis von Leser zu Charakter näher als Michael Ende. Die wunderbaren einseitigen Illustrationen zu Kapitelbeginn geben einen kleinen Eindruck der folgenden Seiten. Der "Ur-Einband" aus schimmerndem Stoff mit dem geprägten Auryn ist einfach zu schade, um ihn mit dem Schutzumschlag zu versehen.
 
Durch den zwei-Farben-Druck ist immer ersichtlich, ob sich der Leser gerade in der realen Welt von Bastian (rot) oder dem Buch im Buch (grün) befindet. So gibt es hautnahe Einblicke in die Gefühlsregungen des Lesers Bastian, der mit Atréju und den anderen Charakteren mitfiebert und leidet, während die Spannung immer weiter ansteigt und mehr und mehr Land dem Nichts zum Opfer fällt. Das dunkle Tier, Gmork, ist ebenfalls daran beteiligt, das Spannungsniveau während Atréjus Reise kräftig zu steigern. Durch die auktoriale Perspektive, dem Mehr an Wissen, was der Erzähler den Leser wissen lässt und den Protagonisten verheimlicht, wurde der Nervenkitzel gekonnt gesteigert. Als Leser ganz gleich welcher Altersgruppe kann man nicht anders, als mit dem jungen Helden zu zittern.
 
Die Vielfalt an Wesen, die Michael Ende erschaffen und in Phantasien eingebaut hat, grenzt an Unendlichkeit. Nahezu jegliche Fantasy-Gestalt findet eine größere oder kleinere Rolle darin. 

Nach der Hälfte des Buches jedoch beginnt erst der Teil, den der Klappentext und der Kurzinhalt erwähnen. Leider ist dies auch gleichzeitig der Teil, der mich nicht mehr so sehr mitgerissen hat. Ich fand Bastians Entwicklung in Phantásien absolut unsympathisch und die zahlreichen Wünsche und immer noch mehr Unsympathie und falsche Entscheidungen machten es mir irgendwann nicht mehr leicht, Spaß an der Geschichte zu empfinden. Eine „Welt“ nach der anderen wurde abgehakt, während Bastian zu einem egoistischen Ekel mutierte und letztendlich sogar seine besten Freunde vergraulte. Dieser Teil der unendlichen Geschichte hätte für mich deutlich kürzer sein können, wenngleich ich die Moral darin natürlich nachvollziehen kann und irgendwann ja die entscheidende Erkenntnis kam.

Dieser Plotpoint führte dazu, dass ich mich wieder von Bastian mitreißen ließ, hoffte und zitterte, dass alles doch noch ein gutes Ende nehmen würde. Denn irgendwann endet auch die „Unendliche Geschichte“…

Im Anschluss an Michael Endes Werk folgen ein paar Seiten von Roman Hocke über den Entstehungsprozess und die Hintergründe der „Unendlichen Geschichte“, die mich genauso beeindruckten wie die Geschichte selbst und die man unbedingt ebenfalls gelesen haben sollte. Nach dem Lesen strich ich meinen Kritikpunkt über die stetigen „was mit ihnen geschehen ist, wird an anderer Stelle erzählt“, die sich wirklich häufen und die mich mit jeder Erwähnung mehr und mehr geärgert haben. Auch von Michael Endes Haltung zur Verfilmung zu erfahren, war durchaus interessant.
 
Urteil:
Ganz gleich, wie alt man ist, die "Unendliche Geschichte" ist ein Feuerwerk und Katalysator für die eigene Fantasie. Ich habe die Zeitreise in meine Kindheit genossen. Wenn auch die zweite Hälfte des Buches nicht gerade Sympathie für den Protagonisten hervorrief und der „alte“ Sprachstil heute zur ein oder anderen Stolperstelle führt, verfolgte ich die Abenteuer und die Moral von Michael Endes Geschichte gerne. 4 Bücher für Bastian, Atréju und Co.

Wer das Buch als Kind gelesen hat, sollte sich vielleicht noch einmal zwischen die Zeilen wagen – denn ich bin der Überzeugung, dass viel von der Moral und der Tiefe an jungen Lesern vorbeigeht, Erwachsene (Fantasy-)Leser jedoch beeindruckt.

©hisandherbooks.de