Rezension

Ganz groß!

Kleine große Schritte
von Jodi Picoult

Es gibt einige Autoren und Autorinnen, von denen ich tatsächlich jedes Buch lese. Dazu gehört auch Jodie Picoult und so freute ich mich sehr auf „Kleine große Schritte“.

Zum Inhalt lt. Verlagshomepage: Ruth Jefferson ist eine äußerst erfahrene Säuglingsschwester. Doch als sie ein Neugeborenes versorgen will, wird ihr das von der Klinikleitung untersagt. Die Eltern wollen nicht, dass eine Afroamerikanerin ihren Sohn berührt. Als sie eines Tages allein auf der Station ist und das Kind eine schwere Krise erleidet, gerät Ruth in ein moralisches Dilemma: Darf sie sich der Anweisung widersetzen und dem Jungen helfen? Als sie sich dazu entschließt, ihrem Gewissen zu folgen, kommt jede Hilfe zu spät. Und Ruth wird angeklagt, schuld an seinem Tod zu sein. Es folgt ein nervenaufreibendes Verfahren, das vor allem eines offenbart: den unterschwelligen, alltäglichen Rassismus, der in unserer ach so aufgeklärten westlichen Welt noch lange nicht überwunden ist …

„Es ist ihre Welt, Ruth. Wir leben nur darin. Es ist, als würdest du nach Japan ziehen. Du könntest dich dafür entscheiden, die Bräuche zu ignorieren und die Sprache nicht zu erlernen, aber du kämst weitaus besser zurecht, wenn du es tätest, stimmt´s? Das Gleiche gilt hier. Jedes mal, wenn du den Fernseher oder das Radio einschaltest, siehst und hörst du weiße Menschen, die auf die Highschool oder aufs College gehen, zu Abend essen, sich verloben, ihren Pino Noir trinken. Du lernst, wie sie ihr Leben leben, und sprichst ihre Sprache gut genug, um dich einzufügen. Aber wie viele Weiße kennst du, die so weit gehen würden, sich Tyler-Perry-Filme anzusehen, damit sie lernen können, wie sie sich unter Schwarzen verhalten sollen?“

Noch nie fiel es mir wohl so schwer zu einem Buch einen Beitrag zu schreiben. Und zwar nicht, weil dieses Buch nicht gut war – ganz im Gegenteil gehört dies zu meinen Highlights des Jahres und wäre es weniger umfangreich, würde ich es definitiv als Schullektüre empfehlen.

Dieses Buch, das im Jahre 2015 (!!!) in Amerika spielt, lässt mich fassungslos und vollkommen bewegt zurück. Immer wieder frage ich mich, wie naiv ich war, dass ich glaubte, nur weil ein farbiger Präsident an der Macht war, gäbe es keine Rassenunterschiede mehr. Immer wieder schüttel ich innerlich fassungslos den Kopf über die „kleinen“ Dinge, die Picoult aufzeigt, mit denen Farbige – nicht nur in Amerika – immer wieder zu kämpfen haben.

„Ruth wollte mich dabei haben, damit ich begriff, was es bedeutet, sie zu sein. Die Angestellte, die uns beschattet für den Fall, dass Ware gestohlen wird. Die Wachsamkeit der Kassenkraft. Die Tatsache, dass von einem Dutzend Menschen, die gleichzeitig den TJ Maxx verlassen, Ruth die Einzige ist, deren Tasche überprüft wurde.“

Sprachlich und inhaltlich ist dieses Buch eine Wucht – es reißt mich quasi mit und bringt mich noch Tage, nachdem ich es es beendet habe, zum Nachdenken.

Und letztendlich muss sich jeder Leser nach dieser Lektüre selber hinterfragen, wie es mit seiner eigenen Arroganz anderen Menschenrassen gegenüber bestellt ist.

Ich habe mich entschlossen, einfach ein paar Textauszüge für sich sprechen zu lassen und möchte euch ansonsten dieses Buch einfach sehr ans Herz legen.

„Alte Skinheads sterben nicht aus. Früher schlossen sie sich dem Ku-Klux-Klan an, jetzt gehen sie zur Tea Party. Sie glauben mir nicht? Dann hören Sie sich doch mal einen alten Klan-Sprecher an und vergleichen seine Rede mit der eines Tea-Party-Patrioten. Anstatt Jude sagen sie jetzt Bundesregierung. Anstatt Schwuchteln zu sagen, sagen sie derlei Volk. Anstatt Niger heißt es Sozialhilfe.“

„Auf dem Papier haben die Weißen den Schwarzen zwar schon vor Jahren ihre Freiheit gegeben, aber tief drinnen erwarten sie von uns noch immer , dass wir sagen, jawohl Massa, und dann aus Dankbarkeit für das, was wir bekommen haben, den Mund halten. Wenn wir sagen, was wir denken, verlieren wir unsere Jobs, unser Zuhause, sogar unser Leben, verdammt noch mal.“

Ein sehr bewegendes Buch – absolute Leseempfehlung!