Rezension

Gefangene und Befreite der Extreme

Nachtlichter - Amy Liptrot

Nachtlichter
von Amy Liptrot

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Elemente spielen eine große Rolle in Amy Liptrots „Nachtlichtern“: das Meer, der Wind, die Steine. Liptrot schreibt ein Bekenntnis über ihren Abstieg aus ihrer Heimat den Orkneys nach London in den Abgrund des Alkoholismus und ihrer Rückkehr ins Leben und nach Orkney. Sie lebte immer in Extremen, ob es sich um die Exzesse in der Londoner Partywelt handelt oder um die Extreme der am Rande der Weltkarte liegenden Orkney-Inseln. Und sie schafft es, den Leser mitzunehmen sowohl in die Abgründe ihrer Alkoholabhängigkeit, wo sie soziale Umfelder mit ihren Abstürzen verbraucht wie andere Taschentücher, als auch in das raue und extreme Klima der Inseln zwischen Nordsee und Atlantik, wo die Stürme so heftig sind, dass losgerissene Kühe wie Drachen durch die Luft gewirbelt werden. (S. 325)

Die „Nachtlichter“ sind dann besonders stark, wenn man mit Liptrot hinausgeht in die völlige Finsternis der orkadischen Nacht, wo die Lichter des Firmaments oder der Seezeichen und Schiffe besonders eindringlich funkeln; sie hat die Diskokugel gegen den Sternenhimmel getauscht. Oder wenn man sie auf das Außenfeld begleitet, wo sie Lämmern auf die Welt zu kommen hilft. Oder wenn sie schwimmen geht und in der Kälte des Meeres die Wärme zu sich selbst wiederfindet.

Liptrot ist schonungslos zu sich selbst, und wenn sie die Auswirkungen ihrer Sauftouren beschreibt, tut die Lektüre zuweilen weh. Einerseits erspart sie den Lesern die meisten Details ihrer Abstürze, andererseits wirft sie Schlaglichter auf die peinlichen Erinnerungsfetzen ihrer Fehlschläge im Suff und vor allem darauf, wie sie sich dabei und danach gefühlt hat. „Ich will den Neuankömmlingen nicht ewig erzählen, was ich zu mir genommen habe, zu welchen Handlungen ich dadurch getrieben wurde und wie ich es wieder losgeworden bin. Ich will mit meiner Befreiung etwas anderes anstellen.“ (S. 257) Genau das, was sie über ihre Haltung zu Treffen der Anonymen Alkoholiker angemerkt hat, bringt Liptrot zustande: ein Buch nämlich, das Weg und Ziel ihrer Befreiung ist und gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Orkneys, ohne sie zu verklären.

„Nachtlichter“ ist eine wahre Entwicklungsgeschichte, die man mit Gewinn liest.