Rezension

Gegen das Vergessen

Nichts, um sein Haupt zu betten - Françoise Frenkel

Nichts, um sein Haupt zu betten
von Françoise Frenkel

1921 eröffnet die junge Françoise Frenkel in Berlin die erste französische Buchhandlung, "La Maison du livre français". Achtzehn Jahre lang lebt und arbeitet sie dort, bis ihr die französische Regierung 1939 empfiehlt, auszureisen. Françoise Frenkel ist Jüdin. Ein Verbleib in Deutschland erscheint, zumindest zu diesem Zeitpunkt, zu riskant. Sie zieht nach Paris, von dort muss sie jedoch bald über Avignon nach Nizza fliehen. Als das Vichy-Regime auch dort intensive Razzien durchführt, bleibt nur noch eine Ausreise in die Schweiz. Aber wie soll sie unerkannt durch halb Frankreich reisen?

Françoise Frenkel gelingt, was so viele nicht schaffen werden. Im Juni 1943, beim dritten Versuch erreicht sie sicheren Schweizer Boden. Geholfen haben ihr eine erstaunliche Anzahl von Menschen. Menschen, die sich der Gefahr, verhaftet zu werden ausgesetzt haben, um dem Grauen entgegenzustehen, das die Nazis über ihr Land gebracht haben.

Kurz nach ihrer Ankunft in der Schweiz verfasst sie dann diesen Bericht, zur Erinnerung und gegen das Vergessen. Sie ist sich der Tatsache bewußt eine Zeitzeugin zu sein, versucht, möglichst sachlich die Fakten ihrer Odyssee aufzuschreiben. Was sie gefühlt haben mag, scheint trotzdem durch, die Sorge um ihre Familie in Polen, die sie wohl nicht wiedersieht, die Angst in den verschiedenen Verstecken, die völlige Lebensmüdigkeit nach dem mißlungenen Versuch über die Grenze zu kommen, im Anblick der Grenzwache.

Jahrelang war dieser Text verschollen, der 1945 in der Schweiz gedruckt wurde. Erst vor ein paar Jahren wurde er auf einem Flohmarkt in Nizza wiederentdeckt. Über die Autorin weiß man recht wenig, 1889 wurde sie als Frymeta Idesa Frenkel in eine jüdisch-polnische Familie geboren, studierte Musik in Leipzig und Literaturwissenschaften in Paris, promovierte an der Sorbonne. Nach ihrer Ankunft in der Schweiz verlaufen sich die Spuren, 1975 stirbt sie in Nizza.

Es ist wie ein Fingerzeig aus der Vergangenheit, dass Mme Frenkels Bericht gerade jetzt wiedergefunden wurde, in einer Zeit, die einen heftigen Rechtsruck in Europa erlebt,  und das Erstarken von Kräften, die eigentlich gebannt hätten sein müssen, in einer Zeit, in der Kriegsflüchtlinge erneut befürchten müssen, an den Grenzen abgewiesen zu werden, in einer Zeit, in der rechtslastige Parteien Menschenfeindlichkeit wieder gesellschaftsfähig zu machen suchen und reichen Zulauf erhalten.

Und es bleibt zu hoffen, dass Texte wie dieser dafür sorgen, dass immer genügend Menschen sich erinnern und aufstehen gegen Unrecht und Hass, Dummheit und Unmenschlichkeit.