Rezension

"Geh aufrecht und aufrichtig"

Die Chroniken der Verbliebenen - Der Kuss der Lüge - Mary E. Pearson

Die Chroniken der Verbliebenen - Der Kuss der Lüge
von Mary E. Pearson

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist ein großer Tag für Arabella Celestine Idris Jezelia, Prinzessin von Morrighan. Der Tag ihrer Hochzeit mit dem Prinzen von Dalbreck. Doch was sich wie ein Märchen darstellt, ist keines. Jedenfalls nicht für Lia. Denn die Siebzehnjährige hatte keine Chance, den ihr zugedachten Ehemann selbst zu wählen und kennenzulernen. Als Pfand für eine Allianz zwischen den beiden Königreichen soll sie ihre Freiheit aufgeben und damit das Recht, eigene Träume zu verwirklichen. So entzieht sie sich dem Willen ihres Vaters und flieht in Begleitung ihrer Freundin Pauline ins weit entfernte Terravin, um dort in einem Gasthaus als einfache Bedienung zu arbeiten. Hier lernt sie Rafe und Kaden kennen, zwei junge Männer, die unterschiedlicher nicht sein können. Und geheimnisvoll. Zu beiden fühlt Lia sich hingezogen. Und auch Rafe und Kaden entwickeln eigene Gefühlen für sie. Noch weiß Lia nicht, dass der eine der Prinz ist, den sie heiraten sollte, und der andere ausgesandt wurde, sie zu töten...

Mary E. Pearson erzählt mit "Der Kuss der Lügen", dem ersten Band der "Chroniken der Verbliebenen"  eine märchenhaft-fantastische Geschichte in einer von Traditionen geprägten Welt, in der sich die Länder Morrighan, Dalbreck und das geheimnisvolle Venda gegenüberstehen und besondere Gaben, die vor allem den Ersten Töchtern von Morrighan zuteil werden, eine Rolle spielen.

Lia ist eine Erste Tochter, aber sie verfügt nicht nur über keine Gabe, sondern sie will sich auch nicht den Traditionen fügen. Sie ist ungestüm und impulsiv, sehr direkt und weiß, wonach sie kein Verlangen verspürt: einen Mann zu heiraten, den sie noch nie gesehen hat. Und obwohl sie zunächst nur an sich denkt, als sie davonläuft, erkennt sie im Verlauf des Geschehens, dass sie sich ihrer Verantwortung nicht entziehen kann, findet sich selbst und beweist das eine oder andere Mal Courage.

Die Autorin entwirft ein einzigartiges, kluges und durchdachtes Szenario und überrascht mit einem sanften und ruhigen Erzählton, agiert zurückhaltend mit fantastischen Elementen, gleichwohl sehr detailliert und mit Bildern, die in Erinnerung bleiben. Sie legt Augenmerk auf die ausgereifte Darstellung und Entwicklung sowohl der Haupt- als auch der Nebenfiguren. Durch die verschiedenen Ich-Positionen wird das Geschehen direkt aus der jeweiligen Sicht erlebbar und bietet damit deutliche Einblicke in die unterschiedlichen Gefühlsleben der Protagonisten. Dabei verwirrt die Autorin ihre Leser auch, denn sie überlässt es diesen, Mutmaßungen anzustellen, wer Prinz und wer Attentäter ist. 

So verwischen tatsächlich die Grenzen zwischen Gut und Böse, was anfänglich das Lesen zu einem faszinierenden Ratespiel werden lässt und sich im Verlauf des Geschehens zu einem bemerkenswertem Leseerlebnis steigert, bei dem die Erwartungshaltung für den zweiten Band hoch ist.