Geliebte Familie
Bewertet mit 3 Sternen
In den ersten Jahren fühlt man sich wegen des Wiedererkennungseffektes wohl, zumindest als Zeitgenosse des Autors. Umso mehr, wenn man auch mit den Örtlichkeiten vertraut ist.
Die Anekdoten rund um die mehr oder weniger (ich glaube: mehr) fiktive Familie des Ich-Erzählers, der eigentlich angibt, mit dem Autor identisch zu sein, lesen sich flott und amüsant, und die Verknüpfungen mit dem Weltgeschehen wirken spritzig und originell.
Doch das Konzept reicht nicht für 36 Jahre / Kapitel. Nach einer Weile gibt es nur noch Themenhopping, mal geht’s um den Vetter – dass er mit einer neuen kleinkriminellen Idee wieder scheitern wird, weiß man –, mal geht’s um den Onkel, den allzu affärenbereiten, und seine „arme“ Ehefrau, mal um Vater und / oder Mutter des Erzählers in Ehe und Trennung. Andere Verwandte erhalten auch ihren Part, aber als Person wird keine einzige Figur greifbar.
Je weiter das Buch (von Handlung kann man nicht sprechen) voranschreitet, desto langweiliger und eintöniger wird es.
Vor allem im Anhang, wo Jöricke Kurzbeiträge zu allen Jahren auflistet, finde ich eigene Gedanken aus der entsprechenden Zeit wieder, z.B. auf Seite 244:
2001: Elfter September
Bei den Angriffen auf das World Trade Center kommen rund 3000 Menschen ums Leben, beim Völkermord in Ruanda Mitte der 90er Jahre mehr als zwanzig Mal so viel. Dennoch hat das Abschlachten in Afrika die Bewohner der Ersten Welt kälter gelassen als der Anschlag in Amerika.
Woran das liegt? Daran, dass viele von uns schon mal im World Trade Center waren, in Ruanda hingegen nicht? Oder eher daran, dass wir überzeugt davon waren, Massaker wären typisch für die Dritten Welt, und jetzt darüber staunen, dass Massenmörder sich nicht dafür interessieren, was wir für typisch halten?
Streckenweise lustig, streckenweise langweilig mit einigen überraschenden und einigen bekannten Ideen.