Rezension

Gelungene Dystopie mit sympathischer Heldin

Kyria & Reb - Bis ans Ende der Welt - Andrea Schacht

Kyria & Reb - Bis ans Ende der Welt
von Andrea Schacht

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt:
In einer (nicht mehr ganz so) fernen Zukunft lebt die junge Kyria in der stark überwachten und kontrollierten Hauptstadt des Staates New Europe, kurz NuYu genannt. Ihre Mutter ist eine einflussreiche Politikerin, Kyria ihre einzige Tochter, noch dazu eine sogenannte Gendefekte, deren Gesundheit stets gefährdet ist. Daher wird Kyria wie ein rohes Ei behandelt, was ihr immer mehr gegen den Strich geht. Als Kyria wieder einmal im Krankenhaus landet, lernt sie dort den jungen Rebellen Reb kennen. Denn NuYu ist keineswegs das neue Paradies auf Erden, es gibt Randbezirke mit Ausgestoßenen und Flüchtigen, die durch das wohlgeordnete Raster des Systems gefallen sind. Reb ist einer dieser Ausgestoßenen, und obwohl er und Kyria sich von Anfang an in den Haaren haben, entscheidet sich Kyria, dem engen Korsett der mütterlichen und gesellschaftlichen Fürsorge zu entwinden und mit Reb zu fliehen. Sie will in die Reservate - unabhängige Regionen, die nicht unter dem Einfluss NuYus stehen - und dort eine ehemalige Freundin besuchen. Es beginnt eine aufregende Flucht der beiden ungleichen Jungendlichen, und nach und nach findet Kyria heraus, dass nicht alles so ist, wie es zu sein scheint ...
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Meinung:
Der Buchhandel befindet sich ja seit einiger Zeit schon in einem wahren Dystopie-Fieber, und ich gebe zu, dass ich diesem Genre durchaus gerne zuneige. "Kyria&Reb" ist auch eine recht gelungene Umsetzung, was das politische System und die Charaktere angeht.
Fangen wir bei den Figuren an. Kyria ist mir von Anfang an ziemlich sympathisch. Dass sie ständig wie ein rohes Ei behandelt wird, immer jemand um sie herumscharwenzelt und ihre Zukunft von ihrer Mutter durchgeplant ist, macht sie streitbar, wütend und unglücklich. Auch kommen ihr Zweifel an ihrer bisherigen Lebensart, sieht sie doch im Fernsehen zum ersten Mal einen etwas ausführlicheren Bericht über Demonstrationen und deren gewaltsame Niederschlagung. Die Saat des Rebellierens, die in ihr keimt, ist für mich nachvollziehbar und wird im Verlauf der Geschichte auch realistisch ausgebaut. Reb dagegen ist der Rebell, wie er im Buche steht - unnahbar, emotional verletzt, geschickt und clever. Seine Verschlossenheit und Ruppigkeit sind auf seine Vergangenheit zurückzuführen, über die der Leser erst nach und nach etwas erfährt. Ganz herrlich waren die Dialoge zwischen Reb und Kyria - obwohl man schon bald nicht mehr von Dialogen sprechen kann, sondern eher von Zickereien! Wunderbar, diese Köttereien, ich musste mehr als einmal laut lachen :-). Auch Kyrias Gedanken sind erfrischend zu lesen, sie ist recht reflektiert, hat Zweifel und Ängste, zeigt aber auch Mut und Entschlusskraft. Trotzdem hätte ich mir manchmal etwas mehr Tiefe in der Charakterzeichnung gewünscht. Manche Entscheidungen und Umstellungen waren mir zu schnell und simpel, z.B. braucht Kyria gerade mal einen Tag, um sich zu entschließen, mit Reb die Flucht zu ergreifen - und immerhin damit ihr ganzes bisheriges Leben hinter sich zu lassen! Auch passt sie sich für meinen Geschmack manchmal einfach zu schnell an komplett neue Situationen an. Auch Reb bleibt ein bisschen blass, was aber auch daran liegen mag, dass das Buch aus Kyrias Perspektive geschrieben ist und ein nicht geringer Teil der Geschichte ohne das Auftauschen Rebs spielt. Natürlich darf die obligatorische Liebesgeschichte nicht fehlen, diese wird aber langsam und dezent entwickelt und endlich auch mal bis zum "Letzten" ausgeführt :-).
Abstriche muss man m.E. allerdings bei der Darstellung des politischen und gesellschaftlichen Systems machen. Vieles bleibt unklar, wird nur angerissen und nicht wirklich bis zu Ende gedacht. Wie genau funktioniert die Überwachung in NuYu? Sicher, jeder hat ein sogenanntes Id um das Handgelenk gewickelt, das alle wichtigen Daten enthält. Aber wer kümmert sich um die Überwachung, wer hat sie entwickelt, wer wartet die technischen Geräte? Und wie funktioniert das Leben in den Reservaten? Als Kyria dort mehrere Monate bei ihrer Freundin verbringt, bekommt man den Eindruck einer sehr agrar-orientierten Lebensweise: große Gutshäuser und Bauernhöfe, die alle möglichen Arten von Gemüse und Obst anbauen und auf den umliegenden Märkten verkaufen. Aber womit wird bezahlt? Es gibt auch Handelsbeziehungen zwischen den Reservaten und NuYu, aber wie gehen Export und Import vonstatten? Wovon leben die Menschen in NuYu? Überhaupt, wie viele Menschen leben überhaupt noch nach der großen Katastrophe? An den vielen Fragen sieht man schon, dass mir einiges im Buch zu kurz kam. Ich hoffe, in den Folgebänden wird noch etwas mehr darauf eingegangen.
Was die Spannung des Buches angeht, so vermag die Autorin diese nicht immer aufrecht zu erhalten. Besonders die Phase, in der Kyria Zeit auf dem Landgut ihrer Freundin (die übrigens sehr blass bleibt und ich bis zum Ende auch nicht herausgefunden habe, was die beiden denn nun verbindet) verbringt, hatte für mich Längen, manchmal kam mir der Plot hier wie ein Teenagersommermärchen vor.
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Fazit: Eine gute gelungene Geschichte zweier Teenager in einem dystopischen Gesellschaftsentwurf. Pluspunkte gibt's für die Charaktere, Abzüge leider für die Darstellung des politischen Systems. Auch spannungstechnisch manchmal etwas lahm, doch habe ich definitiv Lust auf die Fortsetzung, vor allem weil auch kleine Verschwörungshäppchen in die story eingestreut wurden!
4 von 5 Sternen