Rezension

Gelungener Auftakt einer neuen beklemmenden Dystopie

NOX. Unten - Yves Grevet

NOX. Unten
von Yves Grevet

„Eine Stadt, geteilt in ein Oben und Unten, geteilt in Tag und Nacht.​ Wer oben lebt, kennt das Licht und den Reichtum. Wer unterlebt, kämpft gegen die Dunkelheit und Armut an.“

INHALT

Es ist NOX, die dichte Wolke aus Schmutz, die die Stadt in ein Oben und Unten teilt. Wer oben geboren wird, ist auf der Seite der Sieger. Hier wächst man mit Licht und Sonne in Reichtum auf. 

Der 17-jährige Lucen hat es weniger gut getroffen. In Dunkelheit und Gestank lebt er unter widrigsten Umständen in der Unterstadt, wo Polizei und Miliz die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Sein Freund Gerges aus Kindertagen tritt der Miliz bei. Bald schon wird er Lucen misstrauen und ihn hintergehen. Denn der sympathisiert mit den Aufständischen, die eine Zusammenführung von Unter- und Oberstadt unter Einsatz ihres Lebens erkämpfen wollen. Hinter ihm steht Firmie, seine Freundin, und auch Ludmilla, ein Mädchen aus der Oberstadt. Aber werden sie gegen die Miliz siegen?

Lucen ist in größter Gefahr. Und ausgerechnet sein ehemaliger Freund wünscht ihm den Tod.

(Quelle dtv-Verlag)

MEINE MEINUNG

Nach seiner erfolgreichen Romantrilogie „Méto“ hat der französische Autor Yves Grevet erneut eine äußerst spannende Dystopie für jugendliche Leser herausgebracht. Der gelungene Auftakt seiner neuesten Romanreihe „Nox - Unten“ kann vor allem mit seiner außergewöhnlich differenziert und stimmig ausgearbeiteten dystopischen Welt überzeugen, die den Leser sehr rasch mit der extrem bedrückenden Darstellung eines totalitären Regimes in seinen Bann zieht.

Geschickt greift er in seiner packenden Geschichte sehr aktuelle Themen wie Umweltverschmutzung, soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung der Armen auf und regt seine Leser darüber hinaus zum Nachdenken an über die unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen vor allem der Terrorregime in unserer Welt, Ausbeutung der 3. Weltländer und die Bedeutsamkeit von Freiheit und Selbstbestimmung jedes Einzelnen.

Der Einstieg in die Geschichte rund um die jugendlichen Hauptfiguren aus Unter- und privilegierter Oberstadt geschieht zunächst sehr unmittelbar. Erzählt werden die Geschehnisse in sich abwechselnden Kapiteln aus der Perspektive der drei 17-jährigen Ich-Erzähler Lucen, seinem besten Freund Gerges und der reichen, sehr behütet aufwachsenden Oberschichttochter Ludmilla. Sehr geschickt lässt der Autor nach und nach viele aufschlussreiche Hintergrundinformationen zu den Hauptfiguren, ihren Familien und ihren so völlig unterschiedlichen Lebensbedingungen in die clever konstruierte Handlung einfließen. Dank Grevets knappen, gut lesbaren Schreibstils dauert es aber nicht lange, bis man vollkommen in die düstere und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Erzählung abtauchen kann. Das von ihm entworfene, unglaublich ideenreiche Szenario der Stadt ist sehr detailreich und stimmig angelegt und setzt sehr schnell ein beklemmendes Kopfkino in Gang. Wir erleben eine an einem Hang liegende Stadt, die aufgrund der aus extrem ungesunden Abgasen bestehenden NOX-Wolke in zwei Welten geteilt ist: Die Oberstadt, in der die Reichen und Mächtigen im Überfluss leben, und die im Dunkeln liegende Unterstadt, in der die „minderwertige“ Bevölkerung durch ein ausbeuterisches, ungerechtes Terrorregime in einer Art Kastensystem leben und sich gemäß ihrer Herkunft in ein kurzes Leben ohne natürliches Licht und voller Hunger, Elend und Arbeit fügen muss. Sehr eindringlich zeigt Grevet auf, dass dieses bestehende politische Machtgefüge nur künstlich und durch massive Einschüchterungen der brutalen Milizeinheiten aufrechterhalten wird. Für den Leser ist der Wunsch der unterdrückten Unterschicht nach gesellschaftlichem Aufstieg und eine radikalen Veränderung nachvollziehbar dargestellt. Geschickt werden zudem Hinweise eingestreut, dass sich Widerstand gegen das verhasste Terrorregime längst heimlich formiert hat und auch in der Oberschicht einige auf eine gerechtere Gesellschaft hinarbeiten.

Die einfühlsame, differenzierte Figurenzeichnung der sehr unterschiedlichen Protagonisten gibt sehr spannende Einblicke in den Alltag der Menschen in dieser Stadt voller Unterdrückung, Missgunst und Intrigen, ihrer Sorgen und Nöte und den Herausforderungen, denen sie sich tagtäglich im Überlebenskampf stellen müssen. Je weiter die Geschehnisse eskalieren, desto greifbarer werden die aufgeladene Atmosphäre und Anzeichen eines radikalen Umbruchs. Eine sehr heikle Phase ist angebrochen, in die auch unsere jugendlichen Protagonisten Lucen, Gerges und Ludmilla mit ihren Freunden und Familien auf ganz unterschiedliche Weise hineingezogen werden, und plötzlich jeder einzelne Stellung zu beziehen und verhängnisvolle Entscheidungen zu treffen hat.

Die charakterliche Weiterentwicklung und das Verhalten der Hauptfiguren sind authentisch und überzeugend dargestellt. Auch wenn der Autor leider trotz der verwendeten Ich-Perspektive wenig Einblicke in das Gefühlsleben seiner Figuren gibt, kann man sich recht gut in die angespannte Lebenssituation und Gewissenskonflikte der einzelnen Figuren hineinversetzen. Immer häufiger stellt sich für alle die Frage, wem sie noch vertrauen können und auf welcher Seite sie wirklich stehen wollen.

Als ungewöhnliches und etwas gewöhnungsbedürftiges Stilmittel nutzt der Autor zur Schilderung der Ereignisse zeitversetzte und sich oft überlappende Sequenzen aus anderem Blickwinkel, um die Handlung spannender und abwechslungsreicher zu gestalten. Dem Autor ist es hervorragend gelungen, uns bis zum Ende hin immer wieder mit unvorhersehbaren Verwicklungen und ungeahnten Intrigen in Atem zu halten. Etwas schade finde ich allerdings, dass der Autor selbst bei mitreißenden Geschehnissen auf eine packende und actionreiche Umsetzung verzichtet hat und diese eher beiläufig in wenigen Sätzen abhandelt.

Sehr aufwühlend und packend ist das offene, sehr abrupte Ende des ersten Teils gestaltet, bei dem der Autor uns mit einer überraschenden und sehr schockierenden Enthüllung in der Luft hängen und um das Schicksal unserer Helden bangen lässt. Voller Ungeduld müssen wir nun auf den Fortsetzungsband seiner genialen Dystopie warten.

FAZIT

Ein gelungener, fesselnder Auftakt einer neuen beklemmenden Dystopie für Jugendliche, die vor allem mit seiner außergewöhnlich differenziert und stimmig ausgearbeiteten dystopischen Welt überzeugen kann und zum Nachdenken anregt.