Rezension

Gelungenes Debüt

Zeit der Schwalben - Nikola Scott

Zeit der Schwalben
von Nikola Scott

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Sommer, der alles verändert.
Es ist ein goldener Sommer im England der späten 50er Jahre: Die 16-jährige Elizabeth ist begeistert von den jungen Leuten, die sie auf dem Anwesen der Freunde ihrer Eltern in Sussex kennenlernt. Sie erlebt unbeschwerte Tage mit Ausflügen, Picknicks und Partys. Und sie verliebt sich prompt…
London, 40 Jahre später. Nach dem Unfalltod ihrer Mutter erhält Adele Harington einen mysteriösen Anruf: Ein Mann spricht von „neuen Spuren“ und nennt immer wieder ein Datum. Und dann steht plötzlich eine Fremde vor der Tür und behauptet, Teil der Familie zu sein…

Meine Meinung

Familiengeschichten reizen mich seit jeher, insbesondere jene, in denen ein Familiengeheimnis, das sich nur leicht erahnen lässt, nach und nach aufgedeckt wird und mit der Gegenwart verbunden einen Sinn erhält. „Zeit der Schwalben“ ist ein solches Buch und Nikola Scott ist es sehr gut gelungen, zwei Handlungsstränge, die in unterschiedlichen Zeitebenen spielen, gekonnt und clever zu verknüpfen und dabei auf wahre Begebenheiten hinzuweisen, die mir anfangs gar nicht bewusst gewesen sind.

Dabei war ich zu Beginn etwas skeptisch, denn in gewisser Weise greift „Zeit der Schwalben“ ein Thema auf, von dem man gefühlt schon sehr oft gelesen hat. Lang verloren geglaubte Familienmitglieder bzw. Familienmitglieder, von denen man gar nichts wusste, schreckliche Geheimnisse, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben und nie ans Licht gebracht wurden. Dennoch nähert sich Nikola Scott dem Ganzen auf eine erfrischende neue Art, man merkt, dass ihr das Thema und die Geschichte am Herzen liegen und auch, dass sie sehr gut recherchiert hat, denn Figuren und Handlung wirkten mehr als authentisch.

Die Geschichte beginnt im Sommer 1958, Elizabeth wird zu Bekannten in ein altenglisches Herrenhaus nach Sussex geschickt, da es ihrer Mutter sehr schlecht geht und diese nicht möchte, dass Elizabeth ihren Verfall miterlebt. In Tagebucheinträgen erfahren wir von der engen Bindung, die Elizabeth zu ihrer Mutter hat, aber auch von der Strenge und Kälte ihres Vaters und davon, wie sie sich in Sussex einlebt und sich sogar zum ersten Mal verliebt. Diese Schnipsel aus der Vergangenheit fand ich mitunter am berührendsten und emotionalsten. Der zweite Handlungsstrang bewegt sich über 40 Jahre später und wird aus der Sicht von Elizabeths Tochter Addie erzählt. Elizabeth ist inzwischen bei einem Unfall gestorben und die Familie trauert auch ein Jahr später noch sehr um ihren Verlust. Völlig unerwartet steht dann eine fremde Frau vor der Tür und behauptet, Addies Zwillingsschwester zu sein. Zu Recht ist diese erst einmal total geschockt, kann und will das gar nicht glauben, macht sich dann aber doch auf die Suche nach Antworten zu den aufgeworfenen Fragen.

Was mir besonders gut gefiel war, wie Nikola Scott die Charaktere und ihre Beziehungen dargestellt hat, beispielsweise die zwischen Elizabeth und ihrer Mutter, die voller Wärme und Innigkeit war, im Gegensatz zu der zwischen Elizabeth und ihrer Tochter Addie, die um einiges distanzierter und liebloser war, denn für Addie hat es sich immer so angefühlt, als sei sie nicht gut genug und würde ihre Mutter ständig nur enttäuschen. Doch als sie nach dem Auftauchen ihrer angeblichen Zwillingsschwester den Spuren der Vergangenheit ihrer Mutter nachgeht, beginnt sie zu verstehen und auch zu verzeihen und kann wesentlich beruhigter und auch verständnisvoller mit dem Tode Elizabeths abschließen. Ihren Herzschmerz darüber spürt man dennoch aber auf jeder Seite und auch, wie sehr sie wirklich unter allem, was passiert ist, gelitten hat.

Der Originaltitel des Buches passt daher eigentlich viel besser als die deutsche Übersetzung – ‚My Mother’s Shadow‘ ist eigentlich das Motiv, was beide Zeitebenen miteinander verbindet, denn sowohl bei Elizabeth als auch bei Addie ist es der Schatten der eigenen Mutter, der für ihre Gefühle und Handlungen verantwortlich ist und sie auch nach ihrem Tod verfolgt und begleitet.

Die Familiengeschichte, die Nikola Scott in „Zeit der Schwalben“ erzählt, hat mich wirklich berührt, vor allem deswegen, weil erst am Ende völlig klar wird, was Elizabeth damals durchmachen musste und unter welchem Druck sie aufgrund der damaligen gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen stand. Insofern lohnt es sich auch sehr, das Nachwort zu lesen, in dem die Autorin nochmal betont, weshalb ihr dieses Thema so wichtig ist. Das Ende des Romans war für meinen Geschmack zwar etwas zu glatt und kitschig, aber nichtsdestotrotz ist es ein wirklich gelungenes und bewegendes Debüt von Nikola Scott!