Rezension

Gemeinsam ist man weniger alleine

Mein Herz und andere schwarze Löcher - Jasmine  Warga

Mein Herz und andere schwarze Löcher
von Jasmine Warga

Bewertet mit 3.5 Sternen

Am Dienstag den 26. März sind es noch genau 26 Tage... 26 Tage bis zum 07. April! Dem Tag X für die sechzehnjährige Asyel. Und warum? Was wird an diesem 07. April passieren?! An diesem Tag wird Asyel sich das Leben nehmen! So wie andere Menschen im Internet über Singlebörsen den Partner fürs Leben suchen, sucht Asyel unter ihrem Nickname „ASL 0109“ im Worldwideweb einen Selbstmordpartner. Auf der Plattform Smooth Passages stößt sie auf die „Anzeige“ des Jungen FrozenRobert, der an seinen potenziellen Partner, nur drei Bedingungen stellt:
1. Keine Kinder
2. Er darf nicht länger als eine Stunde von ihm entfernt wohnen 
3. Der 07. April ist das unumstößliche Datum an dem sie es tun werden
Als ALS0109 (Aysel) FrozenRobert (Roman) das erste Mal sieht, ist ihr total schleierhaft, warum Roman nicht mehr am Leben hängt. Roman sieht gut aus, er wird von allen möglichen Leuten erkannt und gegrüßt – er ist beliebt, er lächelt, die Kellnerin flirtet mit ihm... Sieht nach außen hin doch nach dem normalen Leben eines Highschoolschülers aus oder?! Dagegen erkennt Roman auf den ersten Blick, dass Asyel wie jemand aussieht, der nicht mehr leben möchte! Sie sieht in seinen Augen "echt verdammt unglücklich" aus! Aber irgendwann merkt Aysel, dass sich etwas verändert hat und das sie wieder lächelt. Ihr einst so felsenfester Entschluss gerät ins wackeln. 

Zu Beginn des Buches habe ich angefangen eine Aysel Fangarnitur zu basteln, habe Plakate gehisst und mir Buttons angesteckt. Aysel ist unglaublich schlagfertig, ironisch, witzig und hat einen grandiosen trockenen Humor. Wie sie knallhart und schonungslos ihr Umfeld unters Skalpell legt und seziert. Stück für Stück, dabei Heuchelei und Absurdität freilegt. Wow! Nach diesem Feuerwerk gleich zu beginn, musste ich dann allerdings meine Plakate wieder einrollen und die Buttons abnehmen. 
Während des Lesens hatte ich zunehmend das Gefühl als läge zwischen Aysel und mir eine Distanz von mehreren Kilometern, von tiefen Seen und Gebirgsschluchten. Ihre Empfindungen und ihre Gefühle haben es bis zum Ende der Geschichte nicht geschafft, die Strecke zu überqueren, zu durchschwimmen oder zu durchwandern, um bei mir anzukommen. Aysel beschreibt Depressionen als ein Gefühl der Schwere, dem man nicht entrinnen kann. Das Gewicht laste auf einem wie Blei und macht selbst die banalsten Dinge, wie das Binden von Schnürsenkeln oder das Kauen von Toastbrot, so anstrengend, als müsste man 30 Kilometer bergauf laufen. Aber genau dieses Gefühl, diese Schwere, diese Last ist es, die ich vermisst habe. So wie sich Aysel hinter dem Deckmantel der Ironie versteckt, so bleibt auch die Authentizität der Gefühle in dieser Geschichte dahinter verborgen. 

Als Aysel beginnt zu kämpfen und ihren ehemals eisernen Entschluss in Frage zieht, tut sich wieder dieser Abgrund auf, über den ich einfach nicht zu Aysel gelangen kann. Mir gefällt der Gedanke, dass zwischenmenschlichen Beziehungen ein Zauber innewohnt und das vielleicht jeder von uns nur einfach jemanden braucht, von dem man gesehen und wahrgenommen wird. Allerdings kam Aysel diese Erkenntnis zu schlagartig! Boom! Puff! Und schon waren alle Probleme gelöst! Wie von Zauberhand! Das nimmt dem doch sehr ernstzunehmenden Thema Depressionen etwas von der Schrecklichkeit, die es einfach besitzt und die man auch nicht abstreiten darf bzw kann. 

Bereits im Titel gibt es eine kleine Anspielung auf das weite Feld der Physik nämlich die schwarzen Löcher. In der Geschichte philosophiert Aysel über die Physik. Ja wirklich, sie philosophiert darüber. Philosophische Physik - diese Kombination hat mir unglaublich gut gefallen! Die Passagen, in denen sich Aysel Gedanken darüber macht, was mit ihrer Energie passiert, wenn sie stirbt, stimmen nachdenklich. 

In allem eine Geschichte, die der menschlichen Stimme Bedeutung schenkt, denn unsere Stimme ist das Stärkste, was wir haben. Die dazu ermuntert über das zu reden, was in einem vorgeht. Den Mantel des Schweigens zu lüpfen.