Rezension

Gemetzel ohne Ende - etwas too much

Zerfleischt - Tim Curran

Zerfleischt
von Tim Curran

Bewertet mit 4 Sternen

Schauplatz der Handlung ist das Städtchen Greenlawn. 
Louis Shears wird von heute auf morgen mit einer neuen Art von Wahnsinn konfrontiert. Die zuvor gutbürgerlichen Einwohner seiner Heimatstadt entwickeln sich plötzlich zurück zu urzeitlichen Jägern, die nur noch für ihre primitivsten Bedürfnisse leben. Es entwickeln sich Clans, die morden, vergewaltigen, jagen und sich gegenseitig auffressen.
Bis auf einige wenige Menschen, unter ihnen auch Louis, fällt die gesamte Menschheit dieser Rückentwicklung zum Opfer. Die Starken überleben. Die Schwachen enden im Kochtopf.
Der Roman beginnt abartig und abstoßend detailliert in seinen Beschreibungen und setzt sich auch bis zum Ende so fort.
Leider gibt es deswegen auch keine Steigerung mehr. Nach den ersten 100 Seiten ist man bereits so abgebrüht, dass einen die restlichen 316 Seiten im Grunde nicht mehr schocken können. Man gewöhnt sich irgendwann an die Überflutung von Blut, Fleisch und Fäkalien, so dass man früher oder später in der Lage ist, sein Mittagessen gemütlich neben einer Volksschlachtung einzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken.
In diesem Sinne wäre weniger mehr gewesen.
Unglaublich gut gefallen hat mir der Einblick in die Gedanken der “Wahninnigen”. Mit der Zeit hat man deren Handlungsweisen verstanden und akzeptiert. Die Bösen sind in diesem Roman nicht mehr länger die Bösen, weil man begreift, dass sie einfach handeln, wie die Natur es ihnen vorgibt.
Sehr gut gefallen hat mir auch die kurze und knappe Schreibweise. Tim Curran verliert sich nicht in Schachtelsätzen, sondern kommt präzise auf den Punkt. So mag ich es! Einige Stellen im Buch haben es mir besonders angetan. Hier wäre eine davon (tragischerweise doch ein Schachtelsatz, aber ein Genialer):
Ebenso wie bei Macy Merchant, hatte sich plötzlich in ihm etwas verändert. Wer oder was auch immer Billy Swanson all die Jahre über gewesen war, es war verschwunden. Die kriechende Raupe namens Billy war in seinen Kokon gekrabbelt und kam als ein angepisster Schmetterling mit einer brandneuen Einstellung heraus, der angewidert auf das Chaos, das der alte Billy aus seinem Leben gemacht hatte, herabschaute. (S. 33)
Weniger schlüssig waren die ab und zu auftretenden Erklärungsversuche des “Wahnsinns”. Es wird zwar sehr klar, wie und warum die Jäger handeln wie sie handeln, aber nicht, wie es zu der Katastrophe gekommen ist. Ansatzweise kommt die Vermutung auf, dass der Mensch seine Welt alleine abgeschossen hat und nun die Konsequenzen dafür hinnehmen muss. Die “alles-auf-Anfang-Theorie” schwebt bis zum Ende im Raum, wird aber nicht konkret bestätigt.
Ein besonders harter Brocken ist der Roman insbesondere für liebende Eltern, denn hier müssen haufenweise Kinder dran glauben.
Insgesamt hätte ich mir etwas weniger Gemetzel und dafür etwas mehr Spannung gewünscht.
Nichtsdestotrotz hatte ich an keiner Stelle das Bedürfnis, das Buch abzubrechen. Tim Curran hat einen sehr unterhaltsamen Pageturner geschaffen, der sich locker an zwei gemütlichen Abenden verschlingen lässt.
Fazit:
Jeder Splatter- und Metzelfan kommt hier komplett auf seine Kosten. Diesen Roman zu lesen ist, wie einen Kübel voller Innereien und Blut über sich selber auszukippen und im Anschluss in einen Pool voller menschlicher Ausdünstungen zu springen.
Wenn man das ertragen kann, steht einem eine sehr unterhaltsame Lektüre bevor.