Rezension

Genialer Entwicklungsroman

Aufstieg und Fall großer Mächte - Tom Rachman

Aufstieg und Fall großer Mächte
von Tom Rachman

Bewertet mit 5 Sternen

Ich mag Bücher über Baseball und Bücher, die, je weiter man liest, immer stärker werden. So ein Buch ist „Aufstieg und Fall großer Mächte“ von Tom Rachman.

Tom Rachman führt seine Leser und seine Protagonistin Mathilda Zylberberg, genannt Tooly, durch verschiedene Zeitebenen. Zu Romanbeginn befindet wir uns in Toolys Gegenwart, man schreibt das Jahr 2011 und sitzt mit Tooly und ihrem Angestellten Fogg in ihrer antiquarischen Buchhandlung „The World’s End“ im Kleinstädchen Caergenog in Wales. Oder man marschiert mit Tooly über die Hügel und Wälder der Umgebung. Es ist eine ausserordentliche, seltene Zeit in Toolys Biographie, denn sie ist gerade seßhaft. Das war Tooly eigentlich noch nie, denn sie ist eine Weltenbummlerin.

Weitere Zeitebenen sind die Jahre um 1999, eine Zeit, die Tooly in undurchsichtigen Verhältnissen in New York verbringt.

Ein weiterer Handlungsstrang ist 1988 angesiedelt, Tooly ist zehn Jahre alt und in Bangkok.

Ihre Familienverhältnisse sind verworren, bleiben auch auf den ersten, zweiten und dritten Blick undurchschaubar. Paul hat sie mit nach Bangkok genommen und steckt sie in eine Schule, in der sie drangsaliert wird. Davor waren sie in Australien. Der Vater hat einen Job bei einer Telefongesellschaft, der es ihm erlaubt oder gebietet, ständig herumzureisen. Wo ist die Mutter? Das Kind Tooly stellt wenig Fragen, weil es keine Antworten bekommt. Es ist ein Kind, das sich anpaßt, weil ihm nichts anderes übrig bleibt und das sich zusammenreimt, wie die Welt beschaffen sein muß. Dabei unterlaufen ihm aufgrund seiner mangelnden Lebenserfahrung manche Fehleinschätzungen.

Von Zeit zu Zeit tauchen ebenfalls unklare Persönlichkeiten auf, eine Frau, Sarah, ein Mann Venn, ein seltsamer Kauz Humphrey. Diese Personen sind trotz ihrer Skurrilitäten die einzige Konstante im Leben der heranwachsenden Tooly, denn durch einen „Zufall“ wird sie von Paul getrennt und gerät in die kleinkriminellen Kreise jener Personen.

In New York ist Tooly kurz davor, sich mit Ducan, einem Jurastudenten eine eigenständige Beziehungswelt und eine Zukunft aufzubauen, da kommt wieder einmal etwas dazwischen. Auch von Humphrey, einem schachspielenden, bibliophilen Exilrussen, ihrer eigentlichen Bezugsperson, wird sie getrennt.

Zurück in der Gegenwart versucht Tooly immer wieder, Spuren ihrer Vergangenheit aufzudecken, ein bisschen halbherzig, ein bisschen verschämt, denn es ist ihr wohl bewusst, dass niemand so viele Löcher in seinem Lebenslauf aufzuweisen hat wie sie. Wer kann ihr etwas sagen über sich, warum sie so merkwürdig entwurzelt in der Welt und in ihrem Leben herumtaumelt? Da erreicht sie eine Email von Duncan, die sie ermutigt, noch einmal einen Versuch zu machen, mehr herauszufinden.

Tom Rachmans Roman ist lang, aber nicht langweilig. Seine Geschichte ist aus einem Guß, schildert mit sicherem, bestechenden Stil eine Story, die sich immer mehr entwickelt. Wie Tooly stochert der Leser lange im Nebel, kommt aber den handelnden Personen in Tooly Leben immer wieder mal ein Stückchen näher. „Ah, so ist das“, seufzt man dann und wann, denn nichts Erfreuliches kommt zum Vorschein. Es ist wieder einer der Erzählungen, die man nur vom Ende her völlig begreift.

Am Ende bin ich wirklich geplättet, betroffen, erschüttert.

Fazit: Genial.

Kategorie: Gehobene Literatur; Deutscher Taschenbuchverlag München, 2014

Kommentare

marsupij kommentierte am 26. Oktober 2014 um 19:50

Da bin ich ganz deiner Meinung. Ein tolles Buch!