Rezension

Grandios

Der Gentleman - Forrest Leo

Der Gentleman
von Forrest Leo

Wenn ich jetzt einen Blick auf das Cover werfe, dann frage ich mich, welcher Teufel mich geritten hat, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Es aufzuschlagen. Zu lesen. Normalerweise wäre ich an diesem Cover vorbeigegangen, ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen, aber hier scheint wirklich der Teufel seine Hand im Spiel gehabt zu haben, der unbedingt wollte, dass ich seine Geschichte lese.

Der Gentleman spielt 1850 in London. Der gerade einmal 22 Jahre junge Dichter Lionel Savage hat aus Geldnot heraus geheiratet, doch seit dem Tag der Hochzeit mit Vivien leidet er unter einer enormen Schreibblockade. Wäre ein Kopfschuss nicht so eine furchtbare Sauerei, die sein Diener Simmons aufwischen müsste, hätte er sich schon längst das Leben genommen. Als er einem mysteriösen Gentleman begegnet, klagt er diesem sein Leid: dass er nicht mehr dichten kann, seit er eine Frau in seinem Leben hat, und dass die Dichtkunst alles für ihn ist, während die Ehe ihm nichts bedeutet. Das Gespräch mit dem Gentleman heitert ihn auf, mehr noch, der Fremde wirkt wie eine Muse auf ihn und plötzlich kann er wieder schreiben - doch gleichzeitig verschwindet auch seine Frau und Lionel Savage ist überzeugt, dass der Teufel sie geholt hat. Und kaum ist sie weg, erkennt er seinen Fehler. Denn trotz Schreibblockade war diese Frau die Liebe seines Lebens. Er will sie zurückholen, aber wie nur? Wie findet man denn bitte den Eingang zur Hölle mitten im viktorianischen London?

"Ich bin, insgesamt betrachtet, ein durchaus ordentliches Mitglied der Gesellschaft.*
(*Fußnote: Auch das muss angezweifelt werden. Mr. Savage legt eine so abgrundtiefe Verachtung für die Gesellschaft an den Tag, dass man sich fragen muss, woher dieser Groll wohl kommen mag.)"
(Seite 21)

Der Gentleman lässt sich gar nicht so leicht in eine Schublade stecken. Die Grundidee erinnert stark an Goethes Faust - wie könnte sie auch nicht? -, das Setting dagegen ist viktorianisch angehaucht und dieses Zeitalter scheint es auch zu sein, das hier parodiert wird. Forrest Leo nimmt vor allem die Aristokraten und deren weltfremden Lebensstil auf den Arm, und er tut dies mit einem herrlich bissigen britischem Humor. Dazu kommt der schwer zu beschreibende, großartige Schreibstil, eine Mischung aus Prosa und Fußnoten, die mich immer wieder zum Schmunzeln und Lachen gebracht hat, bis ich irgendwann vor lauter Tränen nichts mehr sehen konnte. Ich musste immer wieder an Jonathan Strouds Bartimäus denken und daran, dass ich diese Bücher endlich mal wieder lesen muss.

Eine weitere geniale Faccette der Geschichte sind die Figuren. Der versnobte, faule Lionel Savage: ein jammerndes Riesenbaby, das andere für sein Versagen verantwortlich macht, absolut weltfremd ist und erst so etwas wie Rückgrat entwickelt, als er sich auf die abenteuerliche Suche nach seiner Frau macht. Dann ist da seine minderjährige Schwester Lizzie, die ziemlich genau das Gegenteil von Lionel ist. Sie ist frech, lebensfroh, lässt sich nichts sagen und hat keinen Respekt vor niemandem. Lionels Schwager Ashley und natürlich sein Butler Simmons runde den bunten Haufen perfekt ab. Ach ja und dann ist da natürlich noch Hubert, Ashleys Cousin, der für die Fußnoten verantwortlich ist, in denen er so manche Übertreibung der Geschichte wieder ins rechte Licht zu rücken versucht. So viele exzentrische, skurille, ausprägte Figuren auf einem Haufen hatte ich schon lange nicht mehr und so kann man auch gut darüber hinwegsehen, dass hadlungstechnisch gar nicht so viel passiert.

"Lizzie hat die sehr unschöne Eigenschaft, Menschen dazu zu bringen, sich genau so zu fühlen, wie sie es will.*
(*Fußnote: Das ist wahr.)"
(Seite 51)

Der Gentleman ist wahrleich keine leichte Kost für Zwischendurch und vielleicht macht er auch nur Spaß, wenn man sich längere Zeit mit Lyrik sowie brittischer Literatur um Allgemeinen und viktorianischer Literaur im Speziellen auseinander gesetzt, und vielleicht auch Klassiker wie Faust gelesen hat. Sprich, vielleicht braucht man ein großes literarisches Hintergrundwissen, um Der Gentleman großartig zu finden, aber genau das ist, was mir so gut gefallen hat. Die vielen verstecken Andeutungen, der Sarkasmus, die Parodien, die satirischen Elemente. Einfach herrlich.

(c) Books and Biscuit