Rezension

Grandioser Auftakt!

Totenläufer - Mika M. Krüger

Totenläufer
von Mika M. Krüger

Bewertet mit 5 Sternen

Das Cover ist ein Blickfang. Ich finde es toll gestaltet, da es genau so viele Fragen aufwirft wie die Geschichte selbst, aber in sich dennoch stimmig ist.

Dass "Totenläufer" ein grandioser Titel ist, kann sich wohl jeder denken. ;) Er ist kurz, knackig und interessant. Außerdem spielt der Totenläufer eine markante Rolle in der Geschichte.

Erzählt wird aus der personalen Erzählperspektive. Mehrere Figuren kommen dabei zu Wort: Rina, Neel, Tom und Amanda. Normalerweise lese ich eher Bücher mit weniger Erzählern. Wozu sollte eine Liebesgeschichte auch mehr als zwei brauchen? ;) Aber da "Totenläufer" keine Liebesgeschichte ist, passt die Anzahl der Erzähler. Jede Figur ist nämlich so einzigartig, dass es sich durchaus lohnt, so viele Perspektiven zu lesen. Ganz besonders weil die Geschichte so schwer zu durchschauen ist und mehrere Sichtweisen dem Leser einen klareren Blick verschaffen können. Oder sie bewirken das Gegenteil, wer weiß.

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut! Das meine ich ganz ernst. Er ist beeindruckend, mit ganz eigenen Formulierungen und Besonderheiten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man diese bestimmte "Stimme" nach einigen Romanen der Autorin wiedererkennen würde. Das ist meiner Meinung nach eines der besten Dinge, die einem Künstler passieren können: ein Wiedererkennungswert, Markenzeichen oder wie auch immer man es nennen möchte.

 

"Schreie klopften an eine verschlossene Tür. Tropfen von Rot und ein tiefdunkler Hass vermischten sich, wurden zu einer Bedrohung, die hinter einem blickdichten Vorhang auf sie lauerte und das Ende vieler Linien zeichnete." 
(eBook, 6%, Pos. 381)

Damit wären wir schon beim fast entscheidendsten Teil der Rezension: der Handlung. Ich muss sagen, der Klappentext gibt nicht viel her. Er hat mich so weit interessiert, dass ich das angebotene Rezensionsexemplar angenommen habe, aber ich kann nicht guten Gewissens behaupten, dass ich eine dermaßen wundervolle Geschichte erwartet hätte. Wirklich nicht. Ich war neugierig, ja. Aber mit der Komplexität und dem erzählerischen Geschick hätte ich nicht gerechnet. Die Spannung schien während des Lesens niemals zu sinken. Ich habe am zweiten Weihnachtstag etwa 80 Prozent des Titels in einem Rutsch gelesen. Wenn man bedenkt, dass der Roman etwa 400 Seiten umfasst und ich erst nachmittags anfing zu lesen, ist das ein gutes Indiz für die Qualität der Geschichte, nicht wahr? ;)
Das "Silver Coin 203"-Universum ist anderen dystopischen Geschichten durchaus ähnlich. Das kann man allein schon anhand der Tatsache, dass sie demselben Genre angehören, entnehmen. Dennoch ist "Totenläufer" sehr erfrischend. Warum? Die Figuren rebellieren nicht in erster Linie wegen einer mehr oder weniger verbotenen Liebe gegen das System. Ich lese bevorzugt Liebesgeschichten, ja. Aber auch mir ist klar, dass Liebe als Grund für eine Revolution eher unpassend ist. Da überzeugen mich die Motive der Rebellengruppe REKA sehr viel mehr. Außerdem sind herkömmliche bzw. bekanntere Dystopien ziemlich oberflächlich. Es geht mitunter brutal zu und es sterben auch mal Leute. Seltsamerweise macht das den Helden aber gefühlt nie was aus. Bei Mika Krügers Roman ist das anders. Besonders mit ihrem Charakter Rina zeigt sie, wie sehr so etwas einen Menschen beeinflussen kann. Im Vergleich würde ich sagen, dass "Totenläufer" authentischer ist als andere Dystopien. Besonders weil die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und die Figuren eher grau sind. Keiner der Beteiligten ist perfekt - und das schätze ich sehr!
Fantasy habe ich als Genre übrigens aufgenommen, weil es Wesen namens Lorca gibt, die menschenähnlich sind und über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen können. Was es genau mit ihnen auf sich hat, wird hoffentlich in einem der Folgebände erklärt.

Ich bin gespannt, wie Rina sich entwickeln wird. Sie ist meine Favoritin unter den Erzählern. Nicht nur weil sie als Lorca etwas Besonderes ist, sondern weil ihre Gefühle so gut nachvollziehbar sind. Ich hoffe sehr, dass sie sich weiterentwickeln und ihre wahre Stärke finden wird. Denn für mich ist sie die stärkste Figur der Geschichte.
Neel ist mehr so der tragische Held. Mehr als seinen Namen werde ich daher nicht verraten können, ohne zu spoilern. Aber vielleicht noch so viel: Ich mag das zwiebelartige Design seines Charakters und seine Beziehung zu Rina.
Tom als Idealist steht Rina und Neel charakterlich schon ein wenig entgegen. Er ist zweifellos einer der besten Rebellen, aber gleichzeitig auch etwas naiv. Das wird sich bestimmt noch legen. Solange er nicht wie sein bester Freund Jay wird, ist für mich alles okay. ;)
Amanda... Tja, über diese Dame kann ich noch weniger sagen als über Neel. Sie ist Teil der Regierung, aber was sie wirklich will, werden wir wohl erst später erfahren. Ich kann's gar nicht abwarten!
Viktor hätte ich gerne kennengelernt. Aber man kann nicht alles haben. Caren mochte ich, obwohl sie sich als schwächer entpuppt hat, als ich anfangs dachte. Jay kann ich kein Stück leiden. Ich hoffe, das geht einigen Lesern so. Auch Higgens sollte bitte möglichst schnell sterben. ;)

Kritik habe ich leider auch anzubringen. Es gab ab und an Fehler im Text. Leerzeichen vor Kommata und ähnliche Kleinigkeiten, die nicht tragisch sind, aber die ich bemerkt habe. Außerdem meine ich, auch mal grammatikalische Unstimmigkeiten entdeckt zu haben. Das ist schade, aber ich gebe Selfpublishern in der Hinsicht einen Bonus. Hinzu kommt, dass es wirklich nicht häufig vorgekommen ist. Deswegen ziehe ich nichts von der Bewertung ab.

Fazit: 

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, doch dieser Roman hat mich so positiv überrascht, dass ich ihn sogar meinem Freund empfohlen habe. Gerne werde ich auch andere darauf hinweisen, denn ich finde ihn so gut gelungen, spannend und abwechslungsreich wie schon lange kein Buch mehr. Es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass ich dem nächsten Band entgegen fiebere.
(Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar von der Autorin erhalten.)