Rezension

Grausame Zeit

Die Farbe von Milch
von Nell Leyshon

„Und dann schloss ich die Augen doch mein Herz schlug schnell vor Aufregung und obwohl mein Körper ganz still im Bett lag tobte mein Geist wild herum und wollte nicht stellstehen, als wäre er eine Biene im Sommer.“ (S. 79)

Mary ist jung, als sie zwangsweise ihr Leben hinter sich lassen muss und an einen neuen Ort kommt: Von der elterlichen Farm, auf der das Leben hart aber vorhersehbar ist, in den Haushalt des Pfarrers, um dessen kranke Frau zu pflegen. Die Geschichte der darauf folgenden Geschehnisse erzählt sie selbst aus der Perspektive der ein Jahr älteren Mary – und man wird das Gefühl nicht los, dass zwischendurch etwas Gravierendes geschehen ist.

Es hat wirklich eine ganze Zeit gedauert, bis ich mich an den doch sehr eigenwilligen Stil in „Die Farbe von Milch“ gewöhnt habe, und obwohl dieser sicherlich zur Atmosphäre beiträgt, bin ich mir nicht sicher, ob es meiner Meinung nach nicht auch ein allwissender Erzähler getan hätte. Aber es ist wie es ist, und irgendwann hatte ich mich dann auch an die fehlenden Kommata gewöhnt.
Während also die Aufmachung es mir erst schwer machte, in das Buch einzutauchen, war die Handlung schon deutlich ansprechender: Zunächst scheint das Leben auf dem Bauernhof hart und grausam zu sein, was für mich als unbeteiligte Leserin das Gefühl aufkommen ließ, das Leben im Pfarrhaus sei deutlich erstrebenswerter; langsam tritt jedoch die Erkenntnis ein, dass die Vorhersehbarkeit des Farmlebens im Pfarrhaus völlig fehlt, und ab dem Moment hatte mich das Buch fest im Griff.

Mary ist klug, trotz der widrigen Umstände, und häufig klüger als es gut für sie ist. Diese Idee hat mir sehr gut gefallen, denn ich kann mir gut vorstellen, dass ein Leben wie ihres in der Geschichte unserer Gesellschaft häufiger vorkam als man wahrhaben möchte. Die meisten anderen Charaktere scheinen mehr oder weniger (eher mehr) eindeutig im übermächtigen sozialen Gefüge und den Gepflogenheiten der damaligen Zeit (immerhin spielt sich die ganze Geschichte in einem Bauerndorf des 19. Jahrhunderts ab) zu stecken und zeigen auch keine Ambitionen, diesen Umstand zu ändern oder auch nur darüber nachzudenken.

„Du solltest weniger drauf schauen was andere Leute machen, sagte ich, und lieber selbst mehr machen.“ (S. 9)
„Oh Mary, sagte sie. Ich will kein Morgen und ich will nicht dass die Zeit jemals weiterläuft.“ (S. 67)

„Die Farbe von Milch“ war überraschend grausam, überraschend ehrlich und überraschend schmerzhaft, dabei jedoch ein Buch, bei dem ich froh bin, es gelesen zu haben. Gerade die Betrachtung aus dem Blickwinkel der Frauenrechte zeigt hier, dass ein Buch, das in einem historischen Kontext angesiedelt ist, durchaus auch für unser Leben Erkenntnisse bieten kann.