Rezension

Großartig!

Schwesterherz - Kristina Ohlsson

Schwesterherz
von Kristina Ohlsson

Bewertet mit 5 Sternen

Martin Benner ist Anwalt, hat Bindungsprobleme und ist unfreiwilliger Ersatzpapa eines kleinen Mädchens. Man könnte also sagen, dass sein Leben schon turbulent genug ist, bevor er in den Mordprozess rund um Sarah Texas hereingezogen wird. Die Angeklagte ist längst tot, Suizid. Ihr kleiner Sohn seitdem verschwunden. Doch ihr Bruder glaubt nicht an ihr Geständnis und will ihren Namen im Nachhinein reinwaschen. Zunächst nimmt Benner die Sache nicht ernst - Geständnis ist Geständnis, was soll er da ermitteln. Als er über eine Ungereimtheit nach der anderen stolpert ist es für ihn schon viel zu spät, seinen Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen..

Ich bin normalerweise ein kleiner Skeptiker, was skandinavische Thriller angeht - meistens sind mir die zu konstruiert, als dass man sie angenehm und entspannt lesen könnte und die ganzen Orts- und Personennamen die sich für uns alle gleich anhören macht es meistens auch nicht leichter. Ohlsson sollte mich hier allerdings überraschen.

Dem Leser geht es wie Benner. Am Anfang ist man vielleicht milde interessiert, denkt sich zwar, dass an der Sache irgendwas faul sein muss (wir haben im Gegensatz zu Benner schließlich einen Wissensorsprung, niemand schreibt Bücher über gänzlich unspektakuläre Kriminalfälle), ist aber eigentlich nur milde interessiert.
In dem Maß in dem sich Benners Obsession entwickelt, entwickelt sich auch die Spannung für den Leser. Und das geht flink. Nach dem ersten Drittel des Buches will man es eigentlich schon nicht mehr absetzen. Die Spannungskurve bleibt mehr oder weniger konstant oben - Schwesterherz ist wie ein Marathon. Inklusive Schlusspurt, aber ohne erlösendes Gefühl am Ende. Nachdem es sich hier um einen Zweiteiler handelt möchte man nach dem Zuklappen des ersten Buches nämlich direkt mit dem zweiten weiter machen. 
Die Autorin schließt Teil 1 zwar bündig ab, einen klassischen Cliffhanger gibt es hier also nicht, dennoch bleiben noch genug fragen offen, um Nägelkauend in den zweiten Teil zu starten.

Ohlsson hat hier alles richtig gemacht. Der Protagonist ist kaputt genug, um sympathisch zu sein, ohne in die Klischeeschiene des "Bad Boy Ermittlers" zu fallen. Seine etwas unbeholfene, aber dadurch umso schönere Beziehung zu seiner Ziehtochter geben ihm die nötige Portion Herz, die es braucht um mit ihm mit zu fühlen. 
Die Geschichte ist geschickt genug konstruiert, um spannend zu sein und klar genug strukturiert, um das Lesen angenehm zu gestalten.
Die Handlung ist außergewöhnlich genug, um immer wieder Überraschungen zu bieten und gut genug durchdacht, um nicht ins Unrealistische abzudriften.
Perfekte Mittelwege wo man auch hinschaut, besser hätte man es wirklich nicht lösen können.

Für mich ist Schwesterherz bisher definitiv der beste Thriller, den ich 2017 lesen durfte!