Rezension

Großartige Atmosphäre, starke Nebencharaktere, dafür eine umso schwächere Protagonistin...

Das Mädchen mit dem Stahlkorsett
von Kady Cross

*Worum geht's?*
Finley Jayne ist ein hübsches, braves Mädchen, dass als Dienerin eines Lords ihren Lebensunterhalt verdient. Doch tief in ihrem Inneren gibt es etwas, dass sie vor der Öffentlichkeit - und auch vor sich selbst! - zu verbergen versucht: eine kämpferische, rebellische Seite, die ungeahnte Kräfte in Finley erwecken kann. Als der aufdringliche Lord August-Raynes Finley belästigt, verliert sie die Beherrschung und lässt ihrem anderen Ich ohne Rücksicht auf Verluste freien Lauf. Ehe sie begreifen kann, was sie getan hat, ergreift Finley die Flucht und lernt dabei den mysteriösen Griffin kennen. Er und seine Freunde kommen dem Bösen in Londons Straßen auf die Schliche. Ein kräftiges Mädchen können sie in ihrem Team gut gebrauchen! Aber kann Finley Griffin wirklich trauen? Viel Zeit zum Überlegen bleibt ihr nicht, denn ein Verbrecher hat es auf sie abgesehen - und ganz London ist in Gefahr...

*Kaufgrund:*
Bisher habe ich noch keine Bücher aus dem "Steampunk"-Genre gelesen. Es war die Mischung aus der Lust auf eine neue Erfahrung und der durch den Klappentext ausgelösten Neugierde, die "Das Mädchen mit dem Stahlkorsett" in meine Hände brachte.

*Meine Meinung:*
Das Buch beginnt sehr aufregend und vielversprechend. Bereits während der ersten Seiten werden wir Zeuge eines Verbrechens: Der Lord August-Raynes belästigt eine seiner Dienerinnen, Finley Jayne, und es ist mehr als offensichtlich, dass er alles dafür tun würde, um zu bekommen, was er will. Doch Finley ist keines der schwächlichen Mädchen, die der Lord kennt. In ihr schlummert eine zweite Persönlichkeit, quasi ihre "böse Seite", die immer dann in Erscheinung tritt, wenn Finley sich in Schwierigkeiten befindet. Ihre dunkle Seite macht sie nicht nur zu einer impulsiven und selbstbewussten Rebellin, sie verleiht ihr zudem unermessliche Körperkraft! Und die bekommt Lord August-Raynes deutlich zu spüren...

So aussichtsvoll der Roman auch beginnt, so viel Hoffnungen und Erwartungen ich vor dem Lesen auch in ihn steckte - nach der letzten Seite muss ich leider zugeben, dass mich "Das Mädchen mit dem Stahlkorsett" sehr enttäuscht hat. Die Handlungsidee ist großartig, aber bedauerlicherweise ist es Kady Cross nicht gelungen, sie ebenso beeindruckend umzusetzen. Während der gesamten Geschichte möchte sich keine Spannung aufbauen. Man erhält jede Menge Informationen, die die Neugier wecken; vielleicht sogar ZU viele? Die Auflösung des Täters ist zu schnell offensichtlich! Zudem gibt viele Szenen, in denen man gebannt auf den Showdown wartet; doch der große Überraschungsknall kommt einfach nicht! Die Ereignisse plätschern bloß leise und unspektakulär vor sich hin. Selbst das Ende hat mich nicht recht überzeugen wollen und mein erwartetes "Wow! Wo bleibt der nächste Teil?!"-Gefühl blieb aus, obwohl ein kleiner Cliffhanger durchaus mein Interesse wecken konnte. Nichtsdestotrotz werde ich auch den nächsten Band der "Steampunk"-Reihe von Kady Cross zur Hand nehmen und der Serie eine zweite Chance geben.

Ein großes Highlight des Romans ist die Atmosphäre. Das komplette Ambiente hat mich so fasziniert, dass ich "Das Mädchen mit dem Stahlkorsett" trotz der langatmigen Geschichte jedem Leserherz empfehlen möchte. Wir befinden uns im Jahre 1820 in einem stark fortgeschrittenen und technisiert London; es handelt sich hier also gewissermaßen um eine Dystopie in der Vergangenheit! Welch geniale Idee! In fast ganz London sind Roboter und Maschinen zu finden, die die Arbeit für die Menschen verrichten. Manche von ihnen sehen rein äußerlich sogar genauso aus wie ihre Arbeitgeber. Was für mich beinahe unvorstellbar war, ist Kady Cross in ihrem Debüt hervorragend gelungen: Sie hat eine selbstverständliche "Steampunk"-Atmosphäre geschaffen, die einen inspiriert, beeindruckt und erschreckt zugleich.

Die Protagonistin Finley Jayne ist für mich eine der größten Enttäuschungen in diesem Roman. Kady Cross hat sich eine großartige Figur ausgedacht, die mit ihren Eigenschaften und ihrer Geschichte enormes Potenzial bietet ' es hätte doch so schön werden können! Bedauerlicherweise blieben die Entfaltungsmöglichkeiten ungenutzt. Die Autorin hat aus Finleys zwei Persönlichkeiten a la "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" nichts herausgeholt, sie sogar kaum erwähnt! Stattdessen ist aus ihr eine mittelmäßige Figur geworden, die sich nur noch um ihre Gefühlswelt sorgt. Wie langweilig! Schnell verlor ich mein Interesse an ihr; Finley nahm für mich die Rolle eines Nebencharakters ein, denn die anderen Personen erweckten viel größere Neugierde...

Was Finley nicht geschafft hat, erreichen einige der Nebencharaktere im Handumdrehen! Sie sind die wahren Schmuckstücke des Romans; interessante, authentische Charaktere, die die Bezeichnung "Hauptcharakter" wirklich verdienen! Griff und seine engsten Freunde Sam, Jasper und Emily haben mich während ihrer ersten Auftritte augenblicklich verzaubern können. Man spürt ihre Tiefe und ihre Facetten so stark, dass man am liebsten ein ganzes Buch lesen würde, das sich nur auf sie konzentriert. Besonders die schlaue und begabte Emily ist mit ihrer liebenswürdigen Art ein Leserliebling. Apropos: Sie muss genauso wie Finley mit ihrem ganz persönlichen Liebesdreieck kämpfen, allerdings hat Emily mein Herz viel stärker berühren können!
Zu meinem Bedauern hat Kady Cross nicht all ihre Figuren so wunderbar gestaltet. Es gibt zu viele "Füller"-Personen, die eigentlich keine Rolle spielen. Am stärksten fällt dies bei Dandy auf, Finleys Verehrer und Griffins Konkurrent. Er taucht zwar einige Mal auf, aber die Handlung treibt er damit nicht voran. Es wirkt sogar, als würde ihn die Autorin nur erfunden haben, um eine Dreiecksgeschichte in diesen Serienauftakt einbauen zu können. Zu schade, denn die Idee hinter dem Ganovenkönig hätte mich sehr gereizt!

*Cover:*
Das Cover haut mich leider nicht vom Hocker. Das darauf abgebildete Mädchen, das wohl Finley darstellen soll, entspricht kaum meinen eigenen Vorstellungen. Davon ab sind Mädchen auf Covern mittlerweile schon fast zu einem Zeichen der Ideenlosigkeit geworden. Ich kann sie nicht mehr sehen! Dabei bietet dieser Roman so eine bezaubernde Kulisse, die dem Titelbild einen wunderbaren Charme verleihen könnten.

*Fazit:*
"Das Mädchen mit dem Stahlkorsett" hat mich in meinen Erwartungen enttäuscht, dafür aber an einigen Stellen positiv überrascht. Während Protagonistin und Geschichte eher schwach ausfallen, liegen die großen Stärken des Romans in den Nebencharakteren und der Atmosphäre, die mich absolut in ihren Bann ziehen konnten. Insgesamt vergebe ich schwache 3 Sterne für einen mittelmäßigen Serienauftakt.