Rezension

Große Kunst

Fegefeuer - Sofi Oksanen

Fegefeuer
von Sofi Oksanen

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch fesselt direkt, dabei geht es zunächst nur darum, wie Aliide Fliegen fängt. Sofi Oksanen schafft es, auch banalste Begebenheiten spannend zu schildern. Dabei liegt eine tiefe Melancholie in den Zeilen gewürzt mit einer gelegentlichen Prise schwarzem Humor. 

Aliide ist alt, verbittert und lebt alleine auf dem Bauernhof der Familie am Rande eines Dorfes im tiefsten Estland. Es ist 1992, Estland ist frei von der russischen Vorherrschaft, aber das Leben ist nicht wirklich besser. Aliide kocht ihr Gemüse ein und kommt zurecht, hat aber eigentlich schon mit ihrem Leben abgeschlossen. 
Als sie eine junge Frau in ihrem Garten findet ist sie gezwungen, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Zara ist auf der Flucht und verletzt. 
Etwas verbindet diese beiden Frauen und der Schlüssel dazu liegt in der Vergangenheit.

Nach und nach wird hier eine Familiengeschichte präsentiert, die gleichzeitig die Geschichte Estlands zeigt. Und langsam versteht man dann, warum die beiden sind wie sie sind, auch wenn sie zunächst eher befremdlich wirkten.
1936, als junges Mädchen, verliebte sich Aliide in Hans, der aber nur Augen für ihre Schwester hatte. In ihr Dorf marschierten erst die Deutschen und dann die Russen ein und jedes Mal musste sich die Bevölkerung damit arrangieren, erst brave Patrioten und dann treue Sozialisten sein, bis sie fast vergessen hatten, was Estländer ausmacht. 
Zwischendurch erfährt man, was Zara zugestoßen ist. Die Handlung springt hin und her bis man ein erschütterndes Bild erhält. Beide Frauen mussten Schreckliches erleiden und versuchten sich nach Kräften zu wehren.

Der Schreibstil ist erlesen einfach und zaubert durch höchst originelle Vergleiche Atmosphäre. Aliide hat viel durchgemacht und auch Zara ist verzweifelt. Dieses Buch spricht von Leid in jeder Zeile und zu allen Zeiten. Ich musste beim Lesen öfter Pausen einlegen, manchmal kann man es kaum aushalten.

Ich bin höchst beeindruckt von diesem Buch. Das Lesen macht Freude, selbst wenn das Geschehen grauenhaft ist, gleichzeitig erschüttert es zutiefst. Es zeigt das Schicksal von Frauen in einem Willkürregime auf ganz eigene Art, voll tiefer Gefühle und Verzweiflung, aber ohne den leisesten Anflug von Rührseligkeit. Das ist große Kunst und ein großartiges Buch.

Kommentare

LySch kommentierte am 26. Juli 2017 um 09:09

Wow, Sursu! Danke für diese sehr schöne Rezi und den neuen Lesetipp! Das klingt wirklich nach einem sehr außergewöhnlichen Buch - werde ich mir merken! :)

Sursulapitschi kommentierte am 26. Juli 2017 um 09:15

Oh, hab ich sie gepostet? Ich hatte einen fiesen Bad Gateway und dachte, es geht nicht. :-)

Das Buch ist wirklich toll, das muss man lesen, auch wenn es nicht der blanke Spaß ist. 

LySch kommentierte am 26. Juli 2017 um 09:18

Versteh dich gut, so ging es mir hier auch gestern abend mit meiner Rezi :D Aber unsre tauchen zumindest nur einmal auf ^^ Da gehn sie mittlerweile fast unter in der Flut der doppelten und dreifachen Posts :D *haha*

Die Autorin merk ich mir! Die andern Bücher von ihr klingen nämlich auch sehr spannend!

Sursulapitschi kommentierte am 26. Juli 2017 um 09:21

Das war mein erstes Buch von ihr, aber die werde ich jetzt auch im Auge behalten.