Rezension

Große Themen skizziert

Wir haben Raketen geangelt - Karen Köhler

Wir haben Raketen geangelt
von Karen Köhler

Bewertet mit 4 Sternen

Karen Köhler hat 2011 den Hamburger Literaturföderpreis bekommen, bisher schreibt sie Theaterstücke und Erzählungen, die von schnellem Effekt leben. Einen Roman im eigentlichen Sinne hat sie noch nicht gebracht, doch ich hoffe, dies ist nur eine Frage der Zeit.

In neun Kurzgeschichten packt die Autorin, geboren 1974 in Hamburg, die großen literarischen Themen, Identitätssuche, Verlust und Verlassen werden, Aussenseitertum, Gewalt und Vergewaltigung, Entfremdung, Einsamkeit, Alter, Krankeit, Trauer, Tod und Suizid in originelle Gewänder. Die Liebe hat keine eigene Geschichte, Liebe ist die unaufdringliche Prise Salz in allen Texten.

Wie geht denn Originalität bei diesen Themen? Originell ist sowohl Setting wie  Verpackung wie Sprache. Die Erzählungen sind skizzenhaft, Momentaufnahmen, die dennoch auf das ewig Gültige zielen. Das Skizzenhafte hat Vorteile, es hat auch Nachteile.

Die Sprache wirkt spielerisch, denn die Autorin versucht sich an Dutzenden von ausgefallenen Bildkompositionen; und auch wenn das Experimentelle nicht immer hundertprozentig gelingt, ist ihr Stil erfrischend, lebhaft, vital und unsentimental. Dass der nüchterne Stil in scharfem Gegensatz zu den bearbeiteten, eigentlich hochemotionalen Inhalten steht, ist einerseits die Stärke von „Wir haben Raketen geangelt“, denn davon leben die Erzählungen.

Doch die Sprödigkeit der meisten Texte entfacht andererseits kaum Leidenschaft oder Empathie. Zudem empfindet der Leser Distanz und Abgrenzung der Autorin gegenüber der inneren Bewegung ihrer Figuren und erlebt sie alsbald als eigene. Ich vermisse Volumen, eigentlich Fleischwerdung. Ich bin Beobachter wie die Autorin und werde nicht eins. Nähe scheint sich zu verbieten: Kälte tritt auch in den Emotionen zutage, die die Protagonisten hauptsächlich leben: Aggression, Wut, Trauer, Destruktion.

Hier setzt die Kritik ein, nicht an der Sprache, die einfach nur fertig reifen muss. Denn Skizzen sind eben nur Skizzen und keine Ölbilder; auch Picassos Skizzen wecken nur kühle Bewunderung, keinerlei Entzücken. Möglicherweise hat die Autorin gerade diesen Effekt haben wollen?

Impressionen im einzelnen:

Il commandatore. Thema Krebs. Die Ausnahme. In dieser Geschichte ist alles perfekt.

Cowboy und Indianer, Zitat:„Als Kind war ich immer auf der Seite der Indianer ... auch noch als ich die einzige war mit Pfeil und Bogen und mein großer Bruder meinte, ich solle jetzt doch endlich Cowboy werden, letzte Chance, ausser mir gäbe es keine Rothäute mehr.“

Polarkreis. Eine Story, die nur durch versendete Postkarten erzählt wird.

Name. Tier. Beruf. Zitat: „Ich drehe mich um, meine Jogginghose rutscht und ich habe unter dem T-Shirt keinen BH an. Unser Wiedersehen habe ich mir anders vorgestellt.“

Wir haben Raketen geangelt. Zitat: „Wir tranken eine Flasche Jameson zu zweit und schimpften auf die Welt.“

 Familienportraits. Diese Geschichte mochte ich nicht besonders, da sie keine Ufer hat.

Starcode Red, Ödigkeit, innere Leere.

Wild ist scheu, mein Favorit, weil ... die Reduktion in dieser Geschichte einfach großartig ist und

Findling, ein Ausrutscher, in der die Autorin ihren Stil verlässt, Bibelpassagen einmischt, um ... ja, was? darzustellen und die als einzige keinen Funken Hoffnung enthält.

Fazit: Macht euch selbst ein Bild von einer Autorin, von der ich noch viel erwarte.

Kategorie: gehobene Literatur; Carl Hanser Verlag, 2014

 

 

 

Kommentare

Sommerzauber02 kommentierte am 10. September 2014 um 20:50

Anhand deiner Rezension scheint es sich zu lohnen, dieses Buch zu lesen. Bücher mit Kurzgeschichten sprechen mich in der Regel von vornherein nicht an. Aber ich sollte es doch mal wagen.

Übrigens hast du mich gestern abend mit deinen Kritiken und Rezensionen an jemanden erinnert, nämlich an Denis Scheck. Ich habe mir die ARD-Sendung Druckfrisch über die Mediathek vom letzten Sonntag angeschaut. Vor allem seine Kritik zu Silber I und Silber II - die gerade auf der Spiegel-Bestsellerliste stehen - ich war amüsiert darüber.  Da steht ihr euch beide nichts nach. Das soll eine Kompliment sein.

wandagreen kommentierte am 10. September 2014 um 22:06

Gut, dass du's sagst!

progue kommentierte am 10. September 2014 um 23:48

Ist ja wieder mal typisch. Da kommen wir punktemäßig fast auf einen Nenner, und dann habe ich alles (!) anders empfunden als du. :D Ich lache mich weg!