Rezension

Gut, aber nicht großartig...

Turtles All the Way Down - John Green

Turtles All the Way Down
von John Green

Man bekommt genau, was man von John Green erwartet: liebevoll ausgearbeitete Figuren, einen angenehmen, metaphernreichen Schreibstil, die Verbindung von ernsten und humorvollen Szenen, nachdenklich machende Gedankengänge und unvergessliche, wunderschöne Szenen, die sich wieder wunderbar dazu eignen, sie zu zitieren und damit Menschen zu verzücken. Dennoch: Dieses gewisse Etwas, diese extremen Emotionen (beim Lesen), die TFIOS so großartig gemacht haben, die haben mir leider gefehlt. Es handelt sich hier also um ein gutes Buch, aber meiner Meinung nach nicht um John Greens bestes.

Inhalt

100.000 Dollar – so viel sind auf das Auffinden des vermissten Milliardärs Russel Davis Pickett ausgesetzt, der von der Polizei wegen einer Straftat gesucht wird. Aza, die eigentlich mit ihren beherrschenden Zwangsgedanken genug zu tun hat, lässt sich schließlich von ihrer besten Freundin Daisy dazu überreden, zu ermitteln. Aza kennt nämlich Davis Pickett, den Sohn des Milliardärs, noch aus Kindertagen. Eine Begegnung, die Spuren hinterlassen wird…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Aza)
Kapitellänge: eher kurz
Tiere im Buch: ++ Es werden im Buch keine Tiere getötet oder gequält.
Englisch-Schwierigkeit: 1/3: Bis auf einige Stellen (Beschreibungen) sehr leicht und verständlich geschrieben, also keine falsche Scheu!

Warum dieses Buch?

Wer mit mir jemals über Bücher geredet hat, weiß um meine absolute Begeisterung für John Green’s Meisterwerk „The Fault in our Stars“ (= „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“). Nach diesem nahezu perfekten Werk, das mich absolut verzaubert hat, habe ich mich längere Zeit nicht mehr an den Autor herangetraut – aus Angst vor Enttäuschung. Bei diesem Buch, das durch das Thema auch teilweise autobiographische Erfahrungen verarbeitet, konnte ich aber nicht mehr länger Nein sagen.

Zitate

“You're both the fire and the water that extinguishes it. You're the narrator, the protagonist, and the sidekick. You're the storyteller and the story told. You are somebody's something, but you are also your you.” Seite 257

Meine Meinung

Einstieg

Gerade das erste Kapitel fand ich etwas schwierig zu lesen. Doch ab Kapitel zwei, sobald man sich einen Überblick über die Situation verschafft hat, findet man sofort in die Geschichte.

Schreibstil

Dieses Buch enthält wieder den typischen John-Green-Schreibstil, den wir alle so lieben. Das Buch ist wieder gespickt mit interessanten Anregungen zum Nachdenken, wundervollen Metaphern und Bildern und kreativen Vergleichen. Dennoch hatte ich bei diesem Werk nicht so sehr das Gefühl wie bei „The Fault in our Stars“ (TFIOS), dass wirklich jeder Satz so lange überdacht wurde, bis er ganz und gar perfekt ist und dass jedes Wort am genau dafür vorgesehenen Platz ist. Trotzdem ist der Schreibstil in diesem Buch insgesamt wieder schön zu lesen – und es gibt sie natürlich auch hier wieder: diese wundervollen, unvergesslichen, weisen, berührenden Stellen, die man sich sofort mit Post-Its markiert.

Hauptperson

Auch dieses Mal ist die Hauptperson wieder sehr gelungen und liebevoll ausgearbeitet. Aza wird einem nach den ersten Seiten schon sympathisch und John Green hat hier eine Figur geschaffen, an der ich als Leserin die großen Auswirkungen von Zwangsgedanken und – handlungen auf den Alltag von Betroffenen anschaulich beobachten konnte. Insgesamt muss ich leider sagen, dass Aza für mich trotzdem weit hinter Hazel zurücksteht, die ich einfach nur abgöttisch als Protagonistin geliebt habe.

Figuren

Auch bei den Nebenfiguren spart der Autor nicht mit Tiefe. Bis in die Randfiguren hinein erhalten die Charaktere besondere Macken, Eigenschaften und Probleme, so dass es hier niemals an Dreidimensionalität fehlt. Besonders gerne mochte ich Davis, der mich mit seiner schwierigen Beziehung zu seinem Vater und seinen Vertrauensproblemen sehr für sich einnehmen konnte. Dennoch: Ich habe leider nicht so stark mitgefiebert und mitgelitten wie mit Augustus und Hazel. Um diese beiden vom bisher unangefochtenen Thron zu stoßen, muss sich John Green noch etwas mehr ins Zeug legen.

Idee & Themen

John Green hat ein sehr wichtiges Thema gewählt, das auch autobiographische Züge aufweist. Nach eigenen Angaben leidet auch er seit seiner Kindheit unter Zwangsgedanken und war auch in Therapie. Hier zeigt sich John Green (wieder einmal!) als wundervoller Mensch und Vorbild für die junge Zielgruppe: So dankt er in der Danksagung seinen zwei Ärzten, die sein Leben „unermesslich besser“ gemacht haben, und zeigt so, dass man sich für psychische Probleme nicht zu schämen braucht. Im Gegenteil, man sollte sich unbedingt Hilfe holen. Hierzu finden sich Adressen auf den letzten Seiten.

Man merkt sofort, dass John Green sich mit dem Thema auskennt, da er dieses sehr intensiv und gleichzeitig sehr anschaulich und feinfühlig verarbeitet. Auch als nicht betroffene Leserin konnte ich so die bedrückenden Gedankenspiralen von Aza sehr gut nachvollziehen und erkennen, wie sehr diese teilweise ihren Alltag beherrschen. Auch andere wichtige Themen wie die teilweise schwierige Beziehung von Teenagern zu ihren Eltern, Todesfälle in der Familie, Einsamkeit, Emanzipation und Freundschaft werden in diesem Buch eindrucksvoll eingewebt. Und eines kann man diesem Buch wieder auf keinen Fall vorwerfen: fehlende Tiefgründigkeit.

Atmosphäre

Wie auch schon in TFIOS verwebt der Autor hier mehr als gekonnt ernste Themen und nachdenklich machende Gedankengänge mit Humor und lockeren Szenen. Ich kenne keinen Autor und keine Autorin, die/der das besser kann. Dennoch hat es mir hier im Vergleich zum überragenden TFIOS an Emotionen gefehlt. „Turtles all the Way Down“ konnte mich leider nicht ganz so verzaubern, nicht ganz so begeistern. Hierfür ziehe ich einen Stern ab.

Spannung

Niemals findet sich in diesem Buch atemlose Spannung – aber das erwartet ja auch wahrscheinlich niemand. Stattdessen wird die Neugier der LeserInnen geschürt, man möchte wissen, wie es weitergeht. Hierzu sollte man allerdings wissen, dass die „Ermittlungen“ zum Vermisstenfall, der im Klappentext erwähnt wird, nur einen kleinen Teil der Geschichte ausmachen. Persönliche Probleme und die Beziehungen der Figuren untereinander stehen stattdessen im Mittelpunkt. In der zweiten Hälfte des Buches lässt die Spannung leider teilweise etwas nach. 

Mein Fazit

Man bekommt genau, was man von John Green erwartet: liebevoll ausgearbeitete Figuren, einen angenehmen, metaphernreichen Schreibstil, die Verbindung von ernsten und humorvollen Szenen, nachdenklich machende Gedankengänge und unvergessliche, wunderschöne Szenen, die sich wieder wunderbar dazu eignen, sie zu zitieren und damit Menschen zu verzücken. Dennoch: Dieses gewisse Etwas, diese extremen Emotionen (beim Lesen), die TFIOS so großartig gemacht haben, die haben mir leider gefehlt. Es handelt sich hier also um ein gutes Buch, aber meiner Meinung nach nicht um John Greens bestes.

Empfehlung: Jeder, den das Thema interessiert, sollte das Buch lesen. Ich würde  allerdings prinzipiell als Einsteigerbuch „The Fault in our Stars / Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ empfehlen. Für Fans ist das Buch natürlich trotzdem ein Muss! Wie für mich auch sein nächster Roman wieder.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Personen: 4 Sterne
Hauptperson: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Liebesgeschichte: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3-4 Sterne
Regt zum Nachdenken an!

Insgesamt:

❀❀❀❀

Dieses Buch erhält von mir vier Lilien!