Rezension

gutes Buch mit einigen Schwächen

Echt - Christoph Scheuring

Echt
von Christoph Scheuring

Bewertet mit 3 Sternen

Ich wollte keine Welten erschaffen mit meinen Bildern. Ich wollte bloß die Welt zeigen, das war schon alles. Ich meine, ich wollte auch nichts ausdrücken oder Gefühle in Bilder übersetzen oder schlaue Gedanken zu einem Motiv komponieren. Mich interessierte nur das Leben. Oder der Moment, und je ehrlicher und echter und von mir aus auch authentischer der war, desto lebendiger.
Albert, S. 171

 

Charaktere:
Albert ist 16 Jahre alt und leidenschaftlicher Fotograf von authentischen Abschieden.
Kati ist in Alberts Alter und lebt am Bahnhof. Sie ist sehr speziell, was sich in ihren Handlungen wiederspiegelt und Albert oft verunsichert.
Alberts Vater ist ein zerstreuter Professor, auch wenn Albert ihn nicht so beschreiben würde, wie er im Buch sagt. Jedoch hört er Albert oft nicht zu und antwortet automatisch mit „Ja, schön“. Außerdem lässt er Albert viel Freiraum, was nichts Schlechtes sein muss, trotzdem mildert er zB Strafen sehr schnell ab.
Sascha ist ein Freund von Kati und lebt ebenfalls am Bahnhof. Mit seinem Freund Rico nimmt er oft Drogen und ist dann völlig aus der Bahn, liegt benebelt in einem Versteck. Er hat aber auch gewisse Werte und Ansichten. Sascha würde eine Frau (egal ob feste Freundin oder befreundet) nie mit in die Drogenszene reinziehen, sodass sie auch abhängig werden könnte.

 

Meine Meinung:
Albert ist bisher behütet aufgewachsen, auch wenn ihm sein Vater viel Freiraum lässt – er hat dies noch nie ausgenutzt. In seiner Freizeit geht er oft an den Bahnhof um Abschiede zu fotografieren. Die authentische Gefühlsregung fasziniert ihn und wird im richtigen Moment mittels seiner Kamera auf der SD-Karte festgehalten. Eines Tages entdeckt er ein Mädchen, das ihn sofort fasziniert. Als die beiden aufeinander treffen, ist er schwer beeindruckt und verbringt dann viel Zeit mit ihr – Kati. Daraufhin zeigt er ihr auch seine Fotos, die er im Bahnhof gemacht hat. An einem hat Kati ein besonderes Interesse, da sie der Meinung ist, dass dieser Abschied nicht echt sein kann. Also machen sich die beiden auf der Suche nach den abgelichteten Personen. Dies ist aber nicht das Hauptgeschehen im Buch, sondern das immer tiefere Eindringen Alberts in das Leben der obdachlosen Jugendlichen am Bahnhof.

Diese Erzählungen werden aus Alberts Sicht (Ich-Perspektive) rückblickend erzählt, als würde Albert den Leser treffen und ihm von den vergangenen Monaten seines Lebens berichten.

Christoph Scheurings Darstellung der Drogenabhängigen fand ich richtig gut gelungen. Wir wissen ja alle, dass Drogen auch nicht die Probleme lösen können und diese nur für den Moment unwichtig erscheinen lassen. Woraufhin die Abhängigkeit dann natürlich auch noch dazu kommt. Deshalb war es sehr schön, die Drogenabhängigkeit nicht mit erhobenen Zeigefinger beschrieben, sondern mal von der anderen Seite zu sehen. Sascha und sein Kumpel Rico haben sich oft Drogen reingezogen, machten aber auch einen Unterschied zwischen harten Sachen und „harmloseren“ Drogen. Positiv daran war ebenfalls, dass Sascha nicht einfach ein kiffender Vollidiot war, sondern auch Ernsthaftigkeit mit in Beziehungen brachte, da er zB seine Freudinnen von Drogen fernhalten möchte, was er auch bei Kati versucht. Sie weiß zwar, dass er Drogen nimmt, er tut dies jedoch nie in ihrer Anwesenheit, weil man das vor Frauen einfach nicht macht.
Dabei hat es mich aber irgendwie gestört, dass nie über das Negative von Drogen geredet wurde. Alberts Vater ist vieles egal, er sieht es locker oder auch gar nicht bewusst und seine Mutter wohnt in einer anderen Stadt. Als seine Mutter aber zum Schluss einige Bilder von Albert sieht, regt sie sich auf und möchte Albert Hilfe gegen seine Drogenabhängigkeit besorgen, obwohl er ja gar keine nimmt. Ansonsten wurde nie auf die Gefahr von Drogen hingewiesen. Hat Christoph Scheuring es absichtlich außen vor gelassen, weil er einfach die Welt der Drogenabhängigen aus ihrer Sicht zeigen wollte?

Alberts Hobby der Fotografie wurde sehr gut beschrieben. Er fotografiert hauptsächlich Abschiede und begibt sich dafür zum Bahnhof, weil hier wirklich echte und authentische Abschiede stattfinden. Er fotografiert einfach fremde Personen, die sich von geliebten Menschen verabschieden und dann in den Zug steigen. Egal ob Umarmungen, Küsse etc. Albert versucht diesen besonderen Moment einzufangen. Und das machte mir seine Liebe zum Fotografieren so sympathisch, weil es einfach um bewegende und besondere Momente in der Fotografie geht und nicht um gestellte Szenen (bzw. diese dann so authentisch wie möglich, sodass sie Gefühle vermitteln). Auch seine gelegentlichen Gedanken über die richtige Belichtung der Fotos haben seine Leidenschaft sehr gut vermittelt.

Das Ende hat mich nicht ganz zufrieden gestellt, da ich das Gefühl hatte, dass das Buch mittendrin endet. Das Ende ist irgendwie offen, aber so ist das Leben ja auch. Trotzdem verlief es im Sande, weil manche Dinge nicht mehr aufgeklärt werden konnten und andere einfach nicht beachtet wurden. Albert ist 16, da kann klar nicht viel Wegweißendes auf sein zukünftiges Leben geschildert werden, aber mir hat dennoch ein abgerundeter Schluss gefehlt.

Das Buch hat mich nach dem Lesen total zwiegespalten zurückgelassen.  Einerseits mochte ich Alberts Leidenschaft zur Fotografie, die sehr speziellen und sympathischen Charaktere und die Geschichte. Andererseits war ich nach der letzten Seite von dem geschilderten Drogenkonsum und dem unzufrieden stellenden Ende irritiert. Was mich gravierend bei Büchern stört, ist das Fehlen eines roten Fadens. Dieser war hier jedoch da, durch die Suche nach dem fotografiertem Pärchen und der Wahrheit, die hinter der Momentaufnahme liegt, hatte die Geschichte einen Faden, der geschickt die Charaktere miteinander verwob. Jedoch endete dieser abrupt, als wäre er einfach abgeschnitten. Ich denke, mir hat ein Ziel gefehlt, das die Geschichte am Ende schön abschließen würde.

 

Fazit:
Christoph Scheuring hat eine außergewöhnliche Geschichte geschaffen, in der Albert auf die obdachlosen Jugendlichen am Bahnhof trifft. Der Schreibstil des Autors konnte immer Überzeugen, die Handlung leider nicht – besonders am Ende. Der grellorte Faden im Buch (mit dem es auch gebunden wurde), verbindet die Charaktere und schafft eine schöne Geschichte, die jedoch schlagartig endet, als hätte man den Faden mitten im Stoff abgeschnitten.