Rezension

Hadere nicht, hadern macht hässlich

Demnächst in Tokio - Katharina Seewald

Demnächst in Tokio
von Katharina Seewald

Bewertet mit 5 Sternen

Soeben habe ich die letzten Seiten gelesen und wie erschlagen lege ich das Buch zur Seite. Ich schaue mich in meiner gewohnten Umgebung um und komme nur ganz langsam wie aus weiter Ferne zurück in meine eigene Welt. Was für ein großes Buch!

Die 95-jährige Elisabeth hat die Geschichte ihres Lebens für ihre Tochter aufgeschrieben. Und dieses Leben war ein ganz unglaubliches.  Aus Bayern stammend wird sie 18-jährig zwangsverheiratet mit dem sehr viel älteren Ernst Wilhelm und muss ihm, der deutscher Gesandter wird, nach Tokio folgen. Mit dem Diplomatengattinenstatus und den damit verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen versehen findet Elisabeth nur schwer in dieses so ganz andere Leben hinein, vieles bleibt ihr unverständlich, allem voran die Menschen in ihrem Umfeld. Sie beobachtet schweigend, passiv. Alexander taucht auf, ein enger Freund von Ernst Wilhelm,  gleichzeitig greift der Nationalsozialismus immer weiter  um sich. Und der Schrecken greift mitten hinein in das privilegierte Leben von Elisabeth.

Man muss sich einlesen, man muss der Geschichte Zeit geben, denn die Erzählweise ist langsam, detailreich, aber sehr, sehr eindrücklich. Mit historischer Akribie und Genauigkeit gibt die Autorin die Geschichte des Nationalsozialismus und seine Auswirkungen in Japan wieder. Und schlüpft mit derselben Präzision in die handelnden Personen, die von den politischen Geschehnissen umhergewirbelt werden. Ich wusste nur sehr wenig von der Rolle Japans und Chinas in den Zeiten der Herrschaft Hitlers. Allein schon deswegen habe ich das Buch mit großem Gewinn gelesen. Mehr aber noch wirkt in mir nach die Person Elisabeth in ihrer ihr selbst völlig unbewussten Stärke, in ihrer Liebesfähigkeit, die nichts fordert, und in ihrer allerfeinsten, sensibelsten Beobachtungsgabe, die den Leser mitten hineinnimmt in ihre Welt. Auch wenn Elisabeth ihren Vater gehasst hat, so bleibt doch seine Maxime: „Hadere nicht. Hadern macht hässlich.“