Rezension

Hätte radikal gekürzt gehört, dann vielleicht...

Schlafende Sonne - Thomas Lehr

Schlafende Sonne
von Thomas Lehr

Bewertet mit 1 Sternen

Über dieses Buch ärgere ich mich! Wer will den Leser hier für dumm verkaufen?

Des Kaisers neue Kleider oder Too much informationen.

Eine Ausstellung. Bilder der schlafenden Sonne. Ein Physikprofessor reist zur Eröffnung an, seine Schülerin und Geliebte stellt aus.

Radikal gekürzt hätte dieser Roman eventuell interessant sein können. Ich sage, eventuell, denn ich habe nicht sehr weit reingelesen, ca. 50 Seiten reichen für einen Leseeindruck. Mag sein, dass den Leser später noch Wesentliches erwartet, ich bezweifle es aber.

Über die Sonne gibt es sicherlich viel zu sagen, was man aber sehr schnell in jedem besseren Lexikon oder Sachbuch nachschlagen kann. Viel unkomplizierter! Die Liebe zur Wissenschaft vermag dieser Roman auch nicht zu wecken!

Form: Der Satzbau ist so komplizert, vollgestopft mit zeilenlangen vorgeschobenen Attributen und in Klammern gesetzte Einschübe, dass es schwer fällt, irgend etwas zu den handelnden Personen herauszufinden. Alle diese Einschübe sind todlangweilig, too much information, nichtssagend, nur Worte, Geschwätz, und das bisschen Gesagte, das übrig bleibt ist nicht minder belanglos. Aber ja, ich habe einige Einzelheiten zu Jonas, des Professors Eltern und seiner Schwester und zu seinen ersten Lieben gelesen und auch zum ersten Sex. Leute, aber das ist nicht interessant genug für 600 Seiten mühsamer Text.

Man kann zur besseren Lesbarkeit diese Einschübe einfach weglassen, dann kommt ein bischen Satzsinn heraus. So habe ich es oft gemacht und ich hätte mich weiter durchgequält, wenn der Inhalt in irgendeiner Weise fesselnd und weniger assoziativ wäre.

Wenn dies ein Buch für Hochintellektuelle ist, dann …äh, sehen diese Hochintellektuellen des Kaisers neue Kleider nicht richtig: denn da ist NICHTS. Experimentelles Schreiben. Ja, experimentell nervtötend.

Und davon soll es eine Fortsetzung geben? Wer mag einen solchen Roman lesen? Wer ihn gar kaufen? Es ist ja kein eigentlicher Roman, es ist eine Ansammlung von Worten, eine Ansammlung, die sehr gut auch ein Computer hätte fertigen können. Oder es schreibt jemand, der partout keine Leser haben möchte. Zu gerne hätte ich eine Rezension von Marcel Reich-Ranicki dazu gelesen! Manchmal fehlt er halt schon sehr, der Kritiker aller Kritiker. Ich kann mir nicht vorstellten, dass er den vorliegenden Roman gelobt hätte und er hätte eine weit bessere Kritik dazu geschrieben als ich, die ich keine weitere Lebenszeit auf die restlichen Seiten ver(sch)wende. Sicher hätte er sich getraut zu sagen, dass die neuen Kleider dieser Literatur nicht so prächtig sind, wie der Kaiser glaubt!

Fazit: Mögen die Liebhaber von Thomas Lehrs Literatur unter sich bleiben, speziell diejenigen, die "Schlafende Sonne" auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gesetzt haben. Ein momentaner geistiger Ausfall? Es könnten dieselben sein, die auch Ulysses von James Joyce rühmen, ich gehöre nicht dazu. Auch in der hochintellektuellen Literatur muss ein Minimum an Lesefreude übrig bleiben. Was hier fehlt.

Kategorie: Experimentelle Literatur
Verlag: Carl Hanser, 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 18. Oktober 2017 um 09:15

Also, auf "Ulysses" lass ich nichts kommen! Das ist eines meiner Lieblingsbücher! Schon die skurrile Eingangsszene mit dem explodie... ren... den... W.... al... - ach, ich hab's verwechselt, das ist "Der Allesforscher" von Steinfest. "Ulysses" hab ich gar nicht gelesen.

wandagreen kommentierte am 18. Oktober 2017 um 10:25

Tss tss, Ulysses nicht gelesen!!!! Wie kann das sein! Jetzt ist es zu spät dafür.

 

Steve Kaminski kommentierte am 18. Oktober 2017 um 11:24

Ja, das denke ich auch. Es sei denn, das mit der Wiedergeburt stimmt, dann kann ich's in ein, zwei Leben angehn.

wandagreen kommentierte am 18. Oktober 2017 um 12:35

Ich würde mich nicht drauf verlassen. Aber der joyce hat es auch nicht verdient. Obwohl es mir leid tut, dass er kaum was sehen konnte. Hatte er nicht Syphilis? Ihhhh.

Steve Kaminski kommentierte am 18. Oktober 2017 um 12:44

Also, laut Wikipedia starb er an einem Zwölffingerdarmgeschwür. Von Syphilis steht da nichts.

Ich verlass mich nicht auf die Wiedergeburten, aber sie sind wohl die einzige Chance, noch mal Ulysses zu lesen.

sphere kommentierte am 18. Oktober 2017 um 21:08

Ich bin ja selber jemand, der gerne Einschübe in Klammern nutzt (um ein Beispiel zu zeigen, muss ich natürlich jetzt in Klammern schreiben), um seine Gedanken - manchmal fliegen sie ja so dahin - in einem Satz aufzuschreiben - auch wenn ein Punkt nicht schaden könnte. Was wollte ich nun eigentlich schreiben? Ach ja, hallo :)

Steve Kaminski kommentierte am 19. Oktober 2017 um 12:50

Ich hab selten ein so schlichtes "Hallo" gesehn! :-)

wandagreen kommentierte am 19. Oktober 2017 um 16:40

Da fehlen Attributivsätze vor den Substantiven, deshalb wirkt das Hallo so mager. Dichten kann er, der Herr Sphere, es fehlt noch am Verklammerten Verklüserten, Nichtverständlichen. Selbst seine Lyrik konnte man verstehen. Ich glaube, Stevie, er macht in Minimalismus. Deshalb klappts mit dem Barock nicht ganz! Realbarock, um genau zu sein. Als ich dir sagen wollte, Sferri, dass du den Dichterwettbewerb gewonnen hast, hat wld meinen Beitrag geschluckt.Also: setz dir einen Kranz auf. Egal aus was. Er gebührt dir!! Dem Dichterfürsten des Minimalismus.

 

Steve Kaminski kommentierte am 19. Oktober 2017 um 16:47

Hmmm, Du meinst, Sphere ist ein Philip Glass der Sprache?

wandagreen kommentierte am 19. Oktober 2017 um 17:06

Wer ist das?

Steve Kaminski kommentierte am 20. Oktober 2017 um 09:09

Ja, genau, wie Sphere sagt. Vertreter des musikalischen Minimalismus oder der Minimal Music.

sphere kommentierte am 20. Oktober 2017 um 05:37

Oh, sinngemäß der "Komponistenfürst des Minimalismus" :)