Rezension

Harry Potter für Erwachsene?

The Magicians. Fillory - Die Zauberer, englische Ausgabe - Lev Grossman

The Magicians. Fillory - Die Zauberer, englische Ausgabe
von Lev Grossman

Bewertet mit 4 Sternen

So lassen sich zumindest die Infos auf der Rückseite lesen. Werbewirksam wird hier George R. R. Martin zitiert, The Magicians sei für Harry Potter wie ein Schuss Whiskey in eine Tasse wässrigen Tees. Ob man dieser kleinen, gemeinen Analogie zustimmen möchte, muss jeder selbst entscheiden – ich persönlich musste über diesen Seitenhieb auf Rowlings überbewerteten Zauberlehrling aber dennoch schmunzeln.

Sollten Potter-Fans also dieses Buch lesen? Auf jeden Fall, The Magicians ist ein tolles Buch! Vorausgesetzt, ihnen ist eines klar: der Vergleich mit den Hogwarts-Abenteuern hinkt. Gewaltig. Eigentlich kriecht er. Der „Schuss Whiskey“ ist eher eine ganze Flasche. Ohne Tee.
Denn was den Leser hier erwartet – ganz gleich wie er zu Potter steht – ist kein buntes Fantasy-Abenteuer. Wo Rowlings Bücher bei aller Entwicklung bis zum Schluss letztlich Kinder-/Jugendbücher bleiben, setzt Lev Grossman hier von Anfang an auf ein völlig anderes Pferd. Sein Buch kann man als Hommage verstehen, aber wenn, dann gilt die Verbeugung vor allem C. S. Lewis. Und ob der sich darüber freuen würde …

Zur Story: Quentin Coldwater ist hochbegabter Nerd und von seinem bedeutungslosen Leben in New York angeödet und deprimiert. Trost findet er lediglich in den Fillory-Romanen, Geschichten über englische Geschwister, die in ein magisches Land reisen und dort Abenteuer erleben.
Als er eines Tages eher unverhofft an der Magierschule Brakebills angenommen wird, scheint er endlich einen Sinn in seinem Leben zu entdecken. Doch trotz der Mysterien der Magie, neuer Freunde und einem Leben jenseits der mundanen, öden Realität der anderen Menschen findet Quentin keine Befriedigung. Zauberei ist ein hartes Brot, die Ausbildung schwer und nach dem Abschluss … ja, was fängt man dann mit dem Leben an? Die Erkenntnis, dass die magische Welt von Fillory tatsächlich existiert, verspricht endlich Erlösung. Doch was Quentin und seine Begleiter dort erleben, ist weitaus gefährlicher und düsterer, als sie es erwartet haben.

Die Eckpfeiler von Grossmans Roman kennt man. Junge kommt auf Zauberschule, reist in eine andere Welt voller sprechender Tiere und fantasievoller Absonderlichkeiten … so weit, so bekannt?
Doch Brakebills ist nicht einfach die High School-Version von Hogwarts und die Charaktere sind keine staunenden Zauberlehrlinge, die mit großen Augen durch ihre Welt ziehen und das Böse bekämpfen. Der eigentliche Feind hier ist die innere Leere, der verzweifelte Versuch, dem Leben einen Sinn zu geben. Teenage Angst, wenn man so will. Und dafür gibt es keinen Zauberspruch, keine Queste, kein Geheimrezept. Selbst hochintelligent zu sein hilft hier nichts, und was bedeutet das schon an einer Schule voller Hochbegabter, die ihr gesamtes Potenzial in die Ausbildung stecken, emotional und sozial aber genauso verwirrt sind, wie es jeder normale Mensch auch sein kann? Die Exklusivität der Magie, abgetrennt vom Alltag der restlichen Welt, macht dies eher schlimmer als besser.

So wird The Magicians zu einem streckenweise schonungslosen Coming-of-Age-Roman im Gewand einer Fantasygeschichte, versehen mit einem grimmigen Realismus, der die Handlung erdet und den Fokus stets auf die Figuren und ihre Psyche richtet. Sprachlich ungemein gewandt, faszinierend gerade in seinem Realismus und trotzdem hochspannend: Grossman liefert mit diesem Buch weitaus mehr als nur „Harry Potter meets Narnia“. Seine Schilderungen von Alkohol- und Drogenkonsum, (bedeutungslosem) Sex und jugendlichen Gefühlsausbrüchen, das Fluchen und die gelegentliche Gewalt sind manchmal plakativ, ja, aber kaum zwecklos oder hohles Stilmittel. The Magicians, ebenso wenig wie das magische Reich Fillory, bietet keinen Eskapismus und keine romantischen Abenteuer. Realitätsflucht bedeutet eben immer nur die Flucht in eine andere Realität, die auf ihre eigene Art genau so hart und unerbittlich sein kann wie die eigene. Die Frage ist, was man daraus macht.

Wer sich darauf einlässt, erlebt ein fantastisches, mitreißendes Buch, desillusionierend und erhellend zugleich. Wer bei der Lektüre lieber den Zauber fremder Welten verspürt, sollte allerdings lieber einen großen Bogen darum machen.

 

The Magicians erschien unter dem Titel Fillory – Die Magier im Fischer Verlag. Die Fortsetzung The Magician King erscheint diesen Herbst auf Deutsch.