Rezension

Hartz-IV-Empfänger findet Baby in Mülltonne

Glückskind - Steven Uhly

Glückskind
von Steven Uhly

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mann findet Baby in Mülltonne.

Klingt wie eine BILD-Schlagzeile, ist hier aber der Einstieg in Steven Uhlys letzten Roman ‘Glückskind’. Dieser Mann ist auch nicht einfach irgendwer, nein. Hans ist einer der am Rand steht. Er nennt sich selbst einen ‘behausten Obdachlosen’. Er lebt mehr schlecht als recht von einer Hartz-IV-Auszahlung zur nächsten, seine Wohnung ist ein wahres Dreckloch und er ist verwahrlost – lange speckige Haare, langer Bart, in dem sich Essensreste sammeln. Hans ist ein Mann, der sich bereits aufgegeben hat.

Doch dann findet er ein Kind in der Mülltonne, er will es nicht recht glauben, denkt erst, es handelt sich um ein besonders herausgeputztes Püppchen. Doch dieses Püppchen lebt. Und was soll er jetzt tun, der Penner, der selbst nur noch dahinfristet, bei dem ein Tag wie der andere ist.
Er trifft eine Entscheidung, die sein Leben verändern soll. Er nimmt das Baby mit zu sich. Schnell merkt er, dass sich etwas ändern muss. Das Baby in der dreckigen Wohnung ist ein Fremdkörper. Von einem Dreckloch in das andere, so geht das nicht. Hans putzt, Hans wäscht die Wäsche, die er seit Wochen nicht gewaschen hat, erinnern kann er sich an das letzte Mal nicht mehr. Hans schneidet sich die Haare, Hans rasiert sich, ewr wäscht sich, er wird ein anderer. Und das alles tut er nicht für sich, nein er tut es für Felizia, das Baby, das weggeworfen wurde. Glück hat sie gehabt und deshalb heißt sie jetzt Felizia.

Doch Glück hat auch Hans gehabt, so sieht er es. Felizia hat ihm das Glück gebracht, gebraucht zu werden. Hans hat wieder eine Aufgabe, er hat Verantwortung für das kleine Mädchen.

Doch hat Hans die richtige Entscheidung getroffen? Muss er nicht zur Polizei gehen, den Fund melden, das Mädchen abgeben? Er kann es nicht, ist sie doch für ihn auch ein Strohhalm der ihn in ein ‘normales’ Leben zurück geführt hat.

Nach und nach erfahren wir auch Hans Geschichte in Rückblicken. Hans war verheiratet, hat zwei Kinder, lebte mit der Familie im Reihenhaus in einem Vorort der Stadt. Doch die Familie ist weg, keiner hat mehr Kontakt zu ihm. Hans wartet, wartet schon ewig, die seltenen Male, die er aus dem Haus ging, bevor Felizia in sein Leben trat, waren immer begleitet von einem sehnsüchtigen Blick zum Briefkasten, in dem dann doch nie etwas lag. Und wenn doch, dann Post vom Amt.

Hans Geheimnis bleibt nicht lange eins: Herr Wenzel vom Zeitungskiosk gegenüber entdeckt das Baby, dass Hans sich umgebunden hat und das so gar nicht ins Bild passt. Auch Herr Wenzel ist einer, der langsam vereinsamt, der Kontakt mit seiner Familie beschränkt sich auf das Nötigste, die Frau ist vor Jahren gestorben. Auch er klammert sich sofort an den Strohhalm und will ein Wörtchen mitreden. Jedes Kind hat doch zwei Großväter…

Währenddessen sucht die Polizei nach dem Kind, der Mutter soll der Prozess gemacht werden, sie soll wegen Mordes ins Gefängnis, auch wenn es keine Leiche gibt. Hans muss eine Entscheidung treffen. Wird es die richtige sein? Und wenn ja, für wen?

Steven Uhly stellt den Rand der Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Geschichte und schildert eindrucksvoll, wie es jeden treffen kann, jeder kann bewusst oder unbewusst an den Rand rutschen, gedrängt werden. Doch auch dort gibt es Zuversicht, Freundschaft, Liebe. Auch dort ist die Menschlichkeit ein nicht zu unterschätzendes Gut.

Mann findet Baby in Mülltonne: ein Glücksfall für den Finder, ein Glücksfall für die Gefundene. Ein Glücksfall für die Literatur, ein Glücksfall für uns.