Rezension

Heidi Rehn macht die Goldenen Zwanziger lebendig

Tanz des Vergessens - Heidi Rehn

Tanz des Vergessens
von Heidi Rehn

In Heidi Rehns Roman »Tanz des Vergessens« geht es um eine junge Frau namens Lou, die nach dem Ersten Weltkrieg im ekstatischen, euphorischen Münchener Bohème die Liebe und das Glück sucht und dabei in einen verheerenden Sog der Verdrängung gerät.

Lou und das »Wiener Kleeblatt«, das aus Curd, Judith und Max besteht, sind unzertrennlich bis ein tragischer Unfall das traute Zusammensein zerstört. Lous Verlobter Curd wird während der politischen Wirren von einem Querschläger getroffen und stirbt. Lou macht sich deswegen Vorwürfe und quält sich mit Schuldgefühlen. Darum will sie nur noch eines: vergessen! Um ihren Schmerz zu betäuben, stürzt sie sich in die Arbeit und das Bohème-Leben der frühen Zwanzigerjahre. Wie die meisten Frauen dieser Generation sucht sie nach einer Chance auf ein selbstbestimmtes, erfüllendes Dasein und einen kleinen Teil vom großen Glück.

Heidi Rehn gelingt mit »Tanz des Vergessens« ein Spagat zwischen bewegender Unterhaltung und Kulturgeschichte. Sie wird dabei aber keineswegs belehrend, sondern machte die damaligen Geschehnisse, die ich nur aus Erzählungen und Geschichtsbüchern kenne, für mich erlebbar. Die damalige Atmosphäre der Nachkriegszeit und der »Goldenen Zwanziger« hat die Autorin glaubwürdig umgesetzt und die Emotionen der unterschiedlichen Phasen lebensecht rübergebracht.
Neben den politischen Begebenheiten wie z. B. Hitlers Aufstieg widmet sich Heidi Rehn zusätzlich den Themen Mode, Musik, Film und den gesellschaftlichen Umwälzungen, die zu dieser Zeit ebenfalls eine große Rolle spielten. Diese vielen Themenbereiche hat die Autorin so geschickt miteinander verknüpft, sodass die Geschichte zu keinem Zeitpunkt überladen wirkt.

Wer sich einen Eindruck von dem Zeitraum zwischen den Weltkriegen verschaffen möchte, bekommt hier eine überzeugende Grundlage, die aus der Sicht der Bevölkerung geschildert wird. Hauptsächlich aus Lous Perspektive in der dritten Person. Ich begleitete sie auf ihrem Lebensweg von München nach Berlin und bekam einen Einblick in ihre Hoffnungen, Wünsche und Ängste. Doch nicht nur Lou lernte ich besser kennen, sondern auch ihre Freunde Max und Judith, die ebenfalls daran arbeiteten, ihre Träume zu verwirklichen. Neben diesen Protagonisten gibt es aber auch noch zahlreiche Nebenfiguren, die nicht alle liebenswert, dafür aber interessant und vielschichtig sind. Einige von ihnen wirkten anfangs harmlos, hatten es aber faustdick hinter den Ohren und sorgten für unerwartete Wendungen.

Der Stil ist klar, schnörkellos und ließ sich gut lesen. Dennoch war der Roman anfangs etwas langatmig und schleppend. Trotz der Anlaufschwierigkeiten verschaffte mir Heidi Rehn mit ihren detailreichen Beschreibungen ein wunderbares Leseerlebnis und ein großartiges Kopfkino, das ich liebend gerne einmal auf der großen Leinwand sehen würde.

Wer noch mehr über die Geschichte erfahren möchte, erhält in der Nachbemerkung Hintergrundinformationen über die Entstehungsgeschichte des Romans. Zudem erzählt die Autorin, was fiktiv oder historisch belegt ist. Die nicht geläufigen Formulierungen sowie die zeitgenössischen Begriffe werden im Glossar erklärt und das Personenregister rundet die Übersicht ab.

Fazit: Eine berührende Geschichte, die ein wirklichkeitsgetreues Bild über die gesellschaftlichen und politischen Begebenheiten dieser Zeit vermittelt. Wer atmosphärische Geschichten liebt, die in den Zwanzigerjahren spielen, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen.