Rezension

Heikel

In seiner frühen Kindheit ein Garten - Christoph Hein

In seiner frühen Kindheit ein Garten
von Christoph Hein

Bewertet mit 3 Sternen

Vor einigen Tagen fiel mir beim Aufräumen meines Bücherregals „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ in die Hände. Ein Buch, das ich in der 11. Klasse in der Schule gelesen habe. Beziehungsweise lesen musste, denn damals fand ich die ganze Geschichte mehr als verstörend.

„In seiner frühen Kindheit ein Garten“ basiert auf einer wahren Geschichte: Auf dem GSG9- Einsatz am Bahnhof in Bad Kleinen vom 27. Juni 1993, bei dem zwei mutmaßliche RAF- Terroristen festgenommen werden sollten. Im Zuge dessen kamen einer dieser beiden Terroristen und ein Polizeibeamter ums Leben.

Christoph Hein hat diesen realen Einsatz mit Fiktion gepaart. Der Terrorist heißt in seinem Roman Oliver Zurek und ist zu Beginn der Handlung bereits lange tot. Im Fokus stehen hier seine Eltern und ihr langer und aussichtsloser Kampf gegen die Übermacht des Staates, der um jeden Preis seine eigenen Fehler vertuschen will. Aber der Roman geht auch noch viel mehr in die Tiefe. Die Eltern quälen sich seit dem Todestag ihres Sohnes mit Schuldgefühlen. Haben sie ihm eine schlechte Kindheit beschert? Eigentlich führten die Zureks immer ein ruhiges, gutbürgerliches Leben: Der Vater Schuldirektor, die Mutter Hebamme und ein kleiner Garten hinter dem Haus, in dem die drei Kinder spielen konnten.

Der Autor nimmt in dem Buch durch die Erzählperspektive von Oliver Zureks Vater natürlich eine klare politische Position ein. Der bis heute höchst umstrittene Einsatz und die nie eindeutig geklärten Todesumstände der beiden Menschen geben ihm hierbei vielleicht Recht – dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Hein konzentriert sich aber schnell mehr auf den psychologischen Prozess der Eltern. Am Anfang noch im Aktionismus gefangen, verklagen sie den Staat, versuchen jede Möglichkeit, um Gerechtigkeit für ihren Sohn zu erfahren. Später erst wird ihnen klar, dass dieser Kampf ein Kampf gegen Windmühlen ist und sie ihren eigenen Frieden schließen müssen. Hein ist hier ein sehr nachvollziehbarer, sehr emotionaler Blick auf die Figuren gelungen.

Wie schon erwähnt, war das Buch in der 11. Klasse bei uns als Schullektüre vorgesehen. Damals habe ich die Handlung einfach hingenommen, war noch nicht in der Lage, sie kritisch zu beurteilen. Und habe das Gefühl gehabt, mit dem angeblichen Terroristen, der (wie Hein es aus der Perspektive des Vaters darstellt) überhaupt keiner war, eine Art Solidarität zu empfinden. Ein Unrechtsbewusstsein entwickelte sich in der ganzen Klasse und wir waren überzeugt: Der böse Staat hat hier jemanden zum Mörder gemacht, der gar keiner war. Frechheit!

Heute sehe ich das Ganze kritischer. Bin in der Lage, mir meine eigenen Gedanken dazu zu machen, beziehungsweise interessiert es mich heute überhaupt, wie der Staat damals argumentierte.

Und sehe das Buch dadurch in einem ganz anderen Licht, denn es ist in höchstem Maße politisch und konstruiert ein historisches Ereignis, das bis heute nicht lückenlos aufgeklärt werden konnte, in einer Eindeutigkeit, die kein Historiker so hinnehmen kann. Natürlich ist dies Heins künstlerischer Freiheit und seinem Protagonisten geschuldet und als Roman absolut akzeptabel, wenn denkende Menschen ihn lesen. Aber als Schullektüre ist das Buch absolut nicht geeignet und ich bin froh, es nun einige Jahre später nochmal gelesen zu haben, da es meine damalige Meinung komplett revidiert.

Ich vergebe trotzdem drei Sterne, da mir der Blick auf die Eltern wirklich gut gefällt. Sie sind eindrücklich geschildert und der Roman lässt sich insgesamt gut lesen. Aber die eindeutige politische Meinung, die zwar niemals explizit geschrieben wird, aber immer dahintersteht und vom Autor oder der Figur selbst nicht hinterfragt wird, ist mir zu viel.