Herzensangelegenheit
Bewertet mit 5 Sternen
Dies ist wahrscheinlich die subjektivste Rezension, die ich je geschrieben habe und jemals schreiben werde; eigentlich ist sie vollauf unglaubwürdig, denn ich bin absolut voreingenommen: Prof. Carrel hat mir jüngst erst, zusammen mit seinem fantastischen Team am Berner Inselspital, das Leben gerettet/verlängert/verbessert; seit letztem Monat kann ich mich zu seinen Patientinnen zählen und beteuern, dass er nicht nur ein exzellenter Chirurg, sondern auch tatsächlich die fantastische Persönlichkeit ist, die man aus "Von Herzen" herausliest. Dieses Buch trieft nicht vor PR-Anstrengungen und Marketingmassnahmen, der Carrel ist tatsächlich so. ;)
Dieses Sachbuch besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil wird seine Biographie erzählt; Thierry Carrel gilt nicht nur als der beste Herzchirurg der Schweiz, sondern geniesst auch international ein herausragendes Ansehen. Der biografische Teil "menschelt", wie übrigens der komplette Buchinhalt, sehr: Hier wird deutlich mehr Wert darauf gelegt, den Mensch Carrel vorzustellen, als darauf, zu erzählen, wie er zum "Starchirurg" wurde und was er alles erreicht hat, welche Auszeichnungen er eingeheimst hat etc.
Der Herzchirurg Carrel wird im zweiten Teil des Buchs mehr in den Mittelpunkt gerückt: Hier erzählen diverse Patienten von ihren eigenen, von Carrel durchgeführten, operativen Eingriffen. Aber auch diese Schilderungen gleiten nie in reine Lobhudelei ab, hier bleiben die Erzählenden im Fokus, auch wenn sicherlich wiederholt Dankbarkeit und Anerkennung für Carrels Arbeit durchklingt. Thierry Carrel gibt im Anschluss an jeden Patientenreport noch eine kleine Erklärung ab, was an jenem Fall so besonders war, wo Risiken lagen, wie häufig oder selten ein bestimmter Eingriff vorgenommen werden muss etc.
Die Patientenauswahl deckt ein sehr breites Spektrum ab, sowohl vom Alter der Operierten als auch von den Diagnosen; da wiederholt sich eigentlich nichts und auch ich fand es durchaus interessant, was das Herz noch so alles an sonstigen Problemen bereiten kann und was chirurgisch alles ausmerzbar ist. Schön fand ich auch, dass die Patienten zudem eben klar aussagten, wie sich ihr Leben und dessen Qualität seit/aufgrund der Operation verändert hat, aber auch nicht unbedingt einen Hehl daraus machten, dass die erste Zeit nach dem Eingriff ihnen durchaus gewisse Mühe bereitet hatte.
(Berühmter Profi hin oder her: Die Rehabilitationsphase fällt nicht kürzer aus, nur weil man bei Carrel auf dem OP-Tisch lag. Leider. [Käme mir just auch noch sehr entgegen.])
Medizinisches Fachsprech sucht man hier vergebens; "Von Herzen" ist ein Buch, das für jeden leicht verständlich sein sollte, auch wenn Carrel die Patientengeschichten dokumentiert.
Dass das so mühelos nachvollziehbar klingt, liegt übrigens vermutlich nicht daran, dass Walter Däpp dessen Aussagen in "versteht jeder" übersetzen hätte müssen: Prof. Carrel ist ein sehr guter Erklärbär. ;) Im präoperativen Aufklärungsgespräch hat er sich sehr viel Zeit genommen, Fragen beantwortet, das geplante Vorgehen erläutert (inklusive Skizze), auch was zu seinem Team erzählt ... so dass ich mir schliesslich fast gar nicht mehr hätte vorstellen können, mein Herz in die Hände eines anderen Chirurgen zu legen.
Auch postoperativ ist Carrel wirklich bemüht um seine Patienten und wenig nachtragend: Als er auf der Intensivstation neben mir stand, habe ich ihn mehrfach angekotzt (sorry!) und er hat mir hernach noch ein Glace-Stengeli besorgt; ein paar Tage später hat er mich zudem noch auf der Überwachungsstation aufgesucht und mir Bilder davon gezeigt, wie es in mir nun aussieht.
Thierry Carrel nimmt sich also definitiv Zeit für seine Patienten; ich bin übrigens weder privat- noch zusatzversichert; also man darf durchaus glauben, wenn er im Buch zitiert wird, dass ihm die Versicherungsklasse völlig wurscht ist.
Aber vor Allem durch die persönlichen Berichte der Patienten wird "Von Herzen" sehr emotional; beim ersten Lesen habe ich diesen Buchteil nur oberflächlich querlesen können: Zu jenem Zeitpunkt war ich allerdings noch in stationärer Behandlung, in körperlich stabilem Zustand, aber psychisch war ich selbst noch absolut befangen und da waren mir diese Erzählungen einfach noch zuviel.
Vor dem Eintritt in die Klinik zwecks OP hätten mich die Berichte aber wohl noch zusätzlich in Sicherheit gewogen und mir einmal mehr gezeigt, dass, trotz aller Risiken, ich mich in absolut kompetente Behandlung begeben würde. Ich kann mir vorstellen, dass es da beruhigend wirkt, von denen zu lesen, die ihre Eingriffe gut hinter sich gebracht hatten - auch wenn zuvor erwähnt wurde, dass bestimmte Risiken immer bestehen; aber ich glaube, das ist ohnehin eine Typfrage: Wer generell sehr ängstlich einem herzchirurgischen Eingriff entgegensieht, dem würde ich prinzipiell eher davon abraten, sich im Vorfeld allzu sehr damit zu befassen, wie es Anderen ergangen ist. Ich habe vorher nie darüber nachgedacht, dass ich evtl. sterben könnte; das entspricht nicht meinem Typ: wenn man also generell eher die positiven Dinge wahrnimmt, dürfte die Lektüre dieses Buchs vor einer solchen Operation meiner Meinung nach schon die "wird schon gutgehen"-Gedanken durchaus intensivieren können.
Selbiges gilt übrigens auch für Angehörige und Freunde.
Sofern man nicht selber unter solchen leidet, dürfte wahrscheinlich jeder wen kennen, der Herzprobleme hat, bereits am Herzen operiert wurde oder in absehbarer Zeit operiert werden muss: Von daher denke ich, dass "Von Herzen" schon das Interesse eines Jeden wecken dürfte und auch, wenn man sich generell einfach für das Organ Herz mit all seinen Querelen interessiert und dazu vor Allem mal nicht nur die medizinische Seite, sondern auch die menschliche Seite, insbesondere die der Patienten, beleuchtet sehen mag, ist "Von Herzen" eine durchaus lesenswerte Lektüre (im Übrigen durchaus mit Bildillustrationen versehen und mit etwas über 200 Seiten nun auch nicht mit einem fetten, medizinischen Fachlexikon zu vergleichen).