Rezension

Hinter den Fassaden lauert der Abgrund

Wintergewitter - Angelika Felenda

Wintergewitter
von Angelika Felenda

Bewertet mit 5 Sternen

    Der zweite Fall für Kommissär Reitmeyer. Mord und Krimi-Noir im München der zwanziger Jahre.  Ein Sturm zieht über München auf, in der Ferne grollte Donner, und über der Isar zuckten Blitze. Ein Wintergewitter. Das war selten. Kommissär Reitmeyer trat in die Pedale, um noch vor Ausbruch des Unwetters die Polizeidienststelle in der Ettstraße zu erreichen.  Das Stadtbild ist gezeichnet von Arbeiteraufständen und Straßenkämpfen, die Menschen hungern und frieren. Der Überlebenskampf ist hart, selbst für die Polizei. Reitmeyer erlebt eine Stadt im Rausch. Kokain, illegale Nachtclubs, politische Straßenschlachten – ein Tanz auf dem Vulkan. Da wird die junge Cilly Ortlieb, Kleindarstellerin in schlüpfrigen Produktionen des Münchner Filmkonzerns Emelka, tot im Keller einer Gastwirtschaft gefunden. Was zunächst wie ein Unfall aussieht, entpuppt sich als Mord mit einer großen Menge Morphium. Während die rechte Einwohnerwehr durch die Straßen Münchens marschiert, sucht Kommissär Reitmeyer, der die erlittenen Kriegs-Traumata und die immer wieder aufkommenden Panikattacken vor seiner Umgebung zu verbergen versucht – von seinen Vorgesetzten argwöhnisch beäugt – in illegalen Spielclubs, Bars und Geheimbordellen nach einem zweifachen Frauenmörder. Dabei begegnet er Gerti Blumfeld, die auf der Suche nach ihrer abgetauchten Schwester eines der Mordopfer kennengelernt hat und bald selbst auf die Todesliste des Täters gerät. Schon bald nimmt der Fall ungeahnte Ausmaße an.… Vor diesem authentisch und detailreich geschilderten Hintergrund entsteht ein spannender und sehr solider Krimi. Die mögliche Ausführung des Mordes ist raffiniert und steuert auf ein unerwartetes Finale hin. Angelika Felendas Kriminalroman erzählt vom bitter kalten Winter 1920, und zwar so realistisch, dass Sie den Frostbeulen näher sind als der Gänsehaut. Ihre Beschreibungen einer Zeit mit starken Kontrasten - Armut und Luxus, Krieg und Vergnügungssucht, Krankheit und Irrsinn, in denen sie sich provokant mit der Gesellschaft und der jüngsten Vergangenheit, dem Ersten Weltkrieg, auseinandersetzt, erregen Bewunderung und Abscheu, lassen aber niemanden kalt. Sie führt uns in die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Milieus und beschreibt sie ausgesprochen lebhaft und bildreich, so dass man wirklich meint, in diese Zeit eingetaucht zu sein. Was diesen Krimi auszeichnet, ist der sorgfältig recherchierte, bis ins Detail stimmige historische Background und die authentische Atmosphäre. Die Autorin verquickt die historischen Tatsachen sehr geschickt mit ihrem Fall und hat damit einen sehr lesenswerten Krimi geschaffen. Neben dem klassischen Krimi-Plot, der überaus raffiniert konstruiert wird, erleben wir einiges von den Sorgen und Problemen der Münchner Bevölkerung mit. Die Lebensumstände der Menschen werden einem sehr nahe gebracht, ganz nebenbei. Gerade dadurch zeichnet sich dieser Krimi aus: Reitmeyer kann nicht einfach schnell von A nach B fahren, um seine Ermittlungen voran zu bringen, sondern muss sich mühsam durchkämpfen. Mordermittlung vor ca. 90 Jahren, ohne die Hilfe digitaler Medien oder anderer Technischer Unterstützung! Und das klappt! Fröstelnde Spannung bis zur letzten Seite, man schlottert mit! Ebenso präzise recherchiert wie unprätentiös formuliert, vor allem aber gut ausgedacht, macht Angelika Felendas Roman um Kommissär Reitmeyer Lust auf mehr. Ein wirklicher Geheimtip, für jeden, der Spaß an klassischen Krimis hat! Authentizität und gute Recherche, toll geschrieben spannender Krimi bestens zu empfehlen. Ein tolles Buch, weil es nicht nur ein guter Krimi ist, sondern auch einen Einblick in die deutsche Geschichte und das München der 20er Jahre gibt. Auch für Nicht-Krimifans, die sich einfach für diese Zeit interessieren. Ein höchst lesenswertes Stück deutscher Kriminalliteratur.