Rezension

Hochemotional und intensiv

Totenfrau - Bernhard Aichner

Totenfrau
von Bernhard Aichner

Bewertet mit 5 Sternen

„Vor zwei Stunden hat sie sich ausgezogen, sie hat sich hingelegt, ohne sich einzucremen. Sie will, dass die Sonne sie verbrennt, dass ihre Haut schreit, wenn sie gefunden wird. Nackt will sie sein. Endlich nackt. Niemand mehr, der es ihr verbietet. Kein Vater. Keine Mutter. Allein auf dem Boot, ihre Brüste, die Hüften, die Beine, die Arme. Dieses Lächeln auf ihren Lippen und wie sie sich leicht zur Musik bewegt. Nirgendwo sonst möchte sie jetzt sein. Noch drei Stunden wird sie liegen bleiben, sich strecken, sich räkeln, den Sommer in sich aufsaugen. Drei Stunden lang, oder vier. Bis die beiden endlich untergehen. Bis sie aufhören zu schreien. Bis sie aufhören, Wasser nach oben zu spritzen. Bis sie endlich still sind.“

Blum ist Bestatterin. Nach dem Tod der Eltern hat sie den Familienbetrieb übernommen, in dem sie ihrem Vater schon als Kind täglich bei der Versorgung der Leichen helfen musste. Nun, alleine in dem Betrieb, beginnt sie ein neues Leben, ein glückliches Leben. Mit einem Ehemann, den sie liebt und der sie liebt, mit zwei kleinen Töchtern, denen sie die wunderschöne Kindheit geben will, die sie selbst nie hatte. Ihr glückliches Leben endet, als ihr Mann bei einem Verkehrsunfall stirbt. Als Blum erfährt, dass es kein Unfall war, sondern ihr Mann – ein Polizist – ermordet wurde will sie wissen, wer dahinter steckt. Als sie es erfährt, nimmt sie sich der Angelegenheit an. In ihrer ganz speziellen Weise…

 

Was für ein Buch! Schon nach der kurzen Einführung der Protagonistin war ich fasziniert. Die Person, die der Sympathieträger in dem Buch sein soll, entpuppt sich schon zu Beginn als eiskalte Mörderin. Gut, es wird sehr eindringlich geschildert, wie sie zu dem werden konnte, was sie jetzt ist. Trotzdem lief mir erstmal ein Schauer über den Rücken. Nach diesem Wahnsinns-Beginn gab es für mich und das Buch nur noch eins: weiterlesen, weiterlesen, weiterlesen. Und es hat sich gelohnt!

 

Blums Jagd nach den Mördern ihres Mannes ist hochspannend und gleichzeitig sehr emotional. Wie sie mit ihnen umgeht ist aufgrund ihrer Erfahrung als Bestatterin recht „kreativ“ und wer es gerne mal etwas blutiger mag, kommt hier auf seine Kosten. Trotzdem blieb mir Blum sympathisch und ich hoffte mit ihr – so gruselig es mir auch manchmal vorkam – dass sie bei ihren „Aktivitäten“ erfolgreich sein würde.

 

Dass ich so nah an ihr und ihren Gefühlen bleiben konnte, lag sicher auch am Schreibstil. Auch dieser war ungewöhnlich und zeichnete sich durch meist sehr kurze Sätze aus, die manchmal nur aus einem oder zwei Worten bestanden. Darin empfand ich deutlich das Gefühlschaos, die starken Emotionen, die in Blum wühlten. Wer von einem Gefühl so stark betroffen ist, so viele Ängste auszustehen hat, so viel Kummer empfindet, denkt auch nicht in langen Sätzen! Für mich waren diese kurzen Sätze daher von einer ungeheuren Intensität und am Ende stand für mich die faszinierende Erkenntnis, dass ich Kapitel für Kapitel mit einer Frau mitgebangt habe, die in jedem anderen Werk einfach nur den Part der psychopathischen Serienmörderin innegehabt hätte.