Rezension

Hölzern und distanziert

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki - Haruki Murakami

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
von Haruki Murakami

Bewertet mit 3 Sternen

Einige Worte zum Inhalt

Tsukuru Tazaki ist Teil einer fünfköpfigen Gruppe von Freunden, die gemeinsam durch dick und dünn gehen und sich als eingeschworene, harmonische Gemeinschaft begreifen. Nach der Schulzeit verlässt Tsukuru als einziger das heimische Nagoya, um in Tokyo zu studieren. Als er in den Sommerferien voller Vorfreude in seine Heimat zurückkehrt, muss er jedoch feststellen, dass seine Freunde radikal mit ihm gebrochen haben. Erst sechzehn Jahre später schafft Tsukuru es durch die Hilfe seiner Freundin Sara, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen.

Meine Meinung

Ohne Frage ist Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki ein großartiges Buch, das vor allem mit einer sehr ausgewählten Sprache und einer interessanten, psychologischen Charakterisierung der Figuren überzeugen kann. Trotzdem erschien mir die Geschichte nicht ganz rund, was möglicherweise an der Distanziertheit liegt, die Murakami entstehen lässt. Ich habe mich den Charakteren nicht nah gefühlt, es war eher so, als betrachte ich sie objektiv von außen, ohne mit ihnen zu verschmelzen. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet ist gerade dies jedoch sehr interessant, denn es entstand eine ganz außergewöhnliche Stimmung beim Lesen.

“Du kannst deine Geschichte weder auslöschen noch rückgängig machen. Denn damit würdest du zugleich dein inneres Wesen töten.” – S. 38

Das Grundgerüst der Geschichte gefällt mir sehr gut: Tsukuru Tazaki stellt sich nach sechzehn Jahren seiner Vergangenheit. Neben einer realitätsnahen Haupthandlung driftet die Geschichte nicht selten ins Skurrile, zum Teil Gespenstische und Obskure ab, was mir persönlich sehr viel Lesefreude bereitet hat, da ich mich in mancherlei Hinsicht an die Neigung zur Psychologisierung in der Romantik erinnert gefühlt habe. Geklärt werden die seltsamen Begebenheiten allerdings nicht, es bleibt demnach dem Leser überlassen, sich seinen Teil zu denken. Auch dies finde ich angenehm, da ich der Meinung bin, dass Geschichten nicht jedes Detail erklären und rechtfertigen müssen. Diese Ungewissheit, dieser geheimnisvolle Reiz verleihen der Geschichte ihren ganz eigenen Charakter.

“Er konnte allmählich nicht mehr beurteilen, was Realität war und was nicht.” – S. 200

Auf der anderen Seite haben mir die Dialoge nicht so recht gefallen, sie wirken häufig sehr gekünstelt und hölzern. Es fehlt ihnen vollkommen an Lebendigkeit und Spontaneität, was sehr schade ist. Zudem ist der Roman oftmals langatmig, sodass ich mich zwischenzeitlich tatsächlich gelangweilt habe. Es war ein stetiges Auf und Ab, das ich anstrengend fand, und das Ende konnte mich ebenfalls nicht vom Hocker reißen.

Die Handlung tröpfelte ohne echte Spannungselemente dahin; einen Spannungsbogen konnte ich in keinem Moment ausmachen. Es ist eine sehr ruhige Geschichte, auf die man sich einlassen muss, doch auch dies hat mir persönlich nicht dabei geholfen, sie interessanter zu finden.

Zu den Charakteren habe ich keinen Zugang gefunden. Sie werden prägnant charakterisiert, sodass man eigentlich ein recht gutes Bild von ihnen hat, allerdings bleibt die bereits beschriebene Distanz zu ihnen. Vielleicht liegt es an der fremden Kultur, dass ich mich nicht in sie einfühlen konnte. Vor allem Tsukuru blieb mir ein Rätsel und wurde mir nicht sympathisch. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir kein einziger Charakter ein, den ich als sympathisch einstufen würde. Das hat mir definitiv gefehlt!

Murakamis Schreibstil ist besonders, einzigartig und sehr bildhaft. Allerdings fand ich ihn etwas gewöhnungsbedürftig und muss wohl noch ein oder zwei Bücher des Autors lesen, um mich vollkommen in seinen Stil einzufinden. Ich bin gespannt, ob die Dialoge auch in seinen anderen Büchern so hölzern sind oder ob es an diesem speziellen Buch lag. Ich hoffe auf Letzteres!

Fazit

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki ist von vielen Hochs und Tiefs geprägt und hat in meinen Augen so einige Schwächen, weswegen ich das Buch nicht unbedingt empfehlen würde. Die Charaktere blieben mir fremd und die Dialoge gefielen mir so gar nicht. Positiv erwähnen muss ich jedoch noch einmal die verschwimmende Linie zwischen Realität und Phantastik, die ich toll finde! Trotzdem reicht es vorerst nicht zu mehr als drei Herzchen. Mal sehen, ob sich meine Einschätzung nach mehreren Murakami-Büchern ändert.